NP - Rungholt: Der Strand

Anjun sprang auf. Seine Wangen waren voller Tränen, doch seine Augen glühten. „Sie werden erst alle Hoffnung in ihnen zerstören und sie dann ertränken.“, sagte er wild. „Aber ich bin nicht bereit dies zu akzeptieren! Wir müssen etwas tun, Leon! Wir müssen sie zurück holen!“ In ohnmächtiger Wut schüttelte er seinen Zauberstab in Richtung des offenen Meeres. „Verdammte Meeresirrlichter! Ich finde einen Weg euch beizukommen! Ich werde Euch so lange jagen, bis ihr mir Lara wiedergebt!“

"Anjun?" Adrian bekam keine Antwort von dem Jungen. Noch viel zu sehr geschockt von dem Vorfall, kauerte der Rothaarige am Boden und sah fassungslos auf das offene Meer hinaus.
Glücklicherweise kam gerade Leon hinzu. Dieser klärte Adrian endlich auf. Meeresirrlichter. Verdammt!
Kein Wunder, dass er sie nicht sehen konnte. Anscheinend hatten sie auch einige der Schüler in Gewahrsam.

Adrian überlegte, was er tun sollte. Dies war eine ernstzunehmende Gefahrensituation und eigentlich wäre es seine Pflicht die Lehrer hinzu zu ziehen. Doch dann würde er auch das geheime Fest auffliegen lassen und die Schüler wären verständlicherweise sauer auf ihn.

"Kümmern sie sich vielleicht um die Kleinen, sie brauchen jetzt dringend eine Erwachsenen an ihrer Seite. Ich kümmere mich um meinen Freund hier." hörte er auf einmal Leons Stimme.
Adrian verzog missmutig das Gesicht. Da war es wieder, dieses förmliche SIE und das Wort "Erwachsener". Leon hat die Abgrenzung zwischen ihm und den anderen Schülern deutlich hervorgehoben. Adrian würde nie dazu gehören. Und nun im Nachhinein fand er es lächerlich, versteckt am Waldrand zuzusehen, wie die Schüler untereinander feiern. Er hätte besser ins Dorf gehen und sich Gleichgesinnte suchen sollen.
Leon hatte Adrian wieder deutlich gemacht, wie groß die Kluft zwischen ihnen war und Shouky würde mit Sicherheit ähnlich darüber denken.

Auf der anderen Seite machte er sich wirklich Sorgen um sie und er war froh hier gewesen zu sein und nun womöglich helfen zu können. Ein beklemmendes Gefühl der Angst überkam ihn nun wieder. Hoffentlich ging es ihr gut.
Mit einem Blick vergewisserte Adrian sich, dass Anjun und Leon hier gut versorgt waren und lief zum Festplatz. Leon hatte Recht. Er musste sich wirklich um die anderen Schüler kümmern und sicher gehen, dass niemand ernsthaft verletzt worden ist. Danach würde er sofort ins Haus und die Lehrer zusammen trommeln. Hier waren Schüler verschwunden. Dies konnte er nicht leichtfertig hinnehmen.

„Lara ist mir mindestens genauso wichtig wie dir! Ich weiß nicht was ich ohne sie machen soll.“ Leons Stimme wurde lauter. Wenn Anjun jetzt eine Anfall bekam und kopflos irgendwelche Aktionen startete, war der Junge niemanden ein Hilfe. Und er brauchte doch seine Stärke.....Leon senkte seine Stimme. Was brachte es ihnen das Meer an zu schreien. In der Hoffnung, das Anjun es nicht falsch verstand, nahm er dessen Hand und brachte den Jungen dazu den Zauberstab wieder sinken zu lassen. „..es geht nicht darum das wir es akzeptieren. Und wir werden etwas unternehmen, nur...., wenn wir ohne einen guten Plan los rennen und uns auf die Irrlichter stürzen, spielen wir damit unserem Gegner direkt in die Hände. Zorn, Verzweiflung, Angst, jede negative Emotion wird sich direkt gegen uns richten. Versteh es bitte nicht falsch. Ich verstehe deine Verzweiflung. Ich wünschte sogar, ich könnte mich genauso in dieses Gefühl steigern.“ Für den Bruchteil einer Sekunde suchte er den direkten Augenkontakt zu Anjun. Und offenbarte ihm, widergespiegelt in seinen Augen, seine eigene Hilflosigkeit. „Und Lara ist für uns bestimmt die wichtigste Person die verschwunden ist, aber nicht einzige wir retten müssen.“

Anjun atmete schwer. Seine Schultern hoben und senkten sich, als er mühsam Zorn und Verzweiflung beherrschte. Dann nickte er mit zusammengepressten Lippen. „Wir müssen Hilfe organisieren. Auch wenn unser Fest auffliegt, müssen wir die Lehrer wecken. - Die anderen Schüler, ist jemand verletzt?“

„Wir konnten die Schüler, die den Irrlichtern noch nicht ganz verfallen sind, zum Glück zu einer Gruppe zusammen treiben. Einige sind verletzt. Sie haben versucht, die Opfer auf zu halten, massive Gegenwehr. Es sind keine großen Verletzungen, müssen aber alle Fälle fach gerecht versorgt werden. Mehr konnten wir leider nicht tun.“ Und wieder kam in Leon das Gefühl auf, schlicht und einfach versagt zu haben. Er hatte das getan was im Bereich dem Möglichen war und das unmögliche beiseite geschoben, weil es die einzige Option war. Aber wenn er jetzt sah, wie alle litten, weil ihre Freunde entführt worden waren...“...und so wie ich das sehe bekommen wir die Situation, ohne die Lehrer nicht in den Griff. Uns fehlt einfach die nötige Erfahrung und das Wissen im Umgang mit Meeres Irrlichern. Und die Zeit rennt uns davon.“

Noch triefend nass fand sich Marlon nun endlich im Boot wieder. Die dunklen Schatten hatten ihn so lange aufgehalten, dass er das Boot seiner Familie fast nicht mehr erreicht hätte. Mit knapper Not hatt er seine Jacke und sein Hemd, sowie seine Schuhe ausgezogen, war ins Meer gesprungen und bis zum Boot geschwommen. Nun saß er dort endlich bei seiner Familie im Boot. Obwohl er kaum mehr was an hatte war ihm im kaltem Winterwetter doch irgendwie gemütlich warm. Ständig musste er sich anstrengen, die Freudentränen zurückzuhalten. Es war immernoch kaum zu glauben. Nach all den Jahren war endlich Frieden in seiner Familie. Die Sünden seines Vaters waren wie weggewischt und er war, wie ein normaler Reinblüter. Es war wie im Traum. Plötzlich legte sich die Kälte des Winters doch über den JUngen, als er endlich das Schiff betrat. Irgendetwas war anders. Der Nebe der Glückseeligkeit, der zuvor um ihn gelegt war, begann plötzlich einer Gänsehaut zu weichen. Das Schiff sah plötzlich ganz anders aus.

Weg war der Glanz, der vorher auf ihm gelegen hatte und nun sah man nur noch einen alten verdreckten Kahn, der aussah, als hätte er Jahre auf dem Meeresgrund gelegen. "Was...was ist hier....Vater?" er drehte sich um, doch seine Familie....was...was war mit ihnen los? Alles starrten sie ihn so seltsam an und...sie veränderten sich. Leichenblässe herrschte unter ihnen und auch der Frieden schien zu weichen. Er sah durch die Reihen und entdeckte nur die verächtlichen Blicke seiner Großmutter..seines Großvaters....seiner Tante. "haben wir dich also da, wo wir dich haben wollten.." Ein bekanntes Bild schien ihm entgegen. Ein goldenes Licht in den Händen seiner Großmutter, ebenso goldenen Lichtblitze, die seinen Vater trafen, seine MUtter. Die beiden Niederstreckten, wie auch die grünen Funken aus dem Stab seiner Tante seine Schwester und seinen anderen Großvater niederstreckten, nur damit sich alle wieder erheben konnten, bleich wie die toten, von Algen eingewickelt..."Du bist der Nächste! Wertloses Blutschändlergör!"

„Dann lass uns schnell machen. Professor Klotterbeck ist eine mächtige Hexe. Das sagt sogar meine Großmutter. Vielleicht kennt sie Gegenzauber.“ Der junge Baccaracus fürchtete die Schulleiterin etwas, weil er ihr die Schuld daran gab, dass man ihn gegen seinen Willen nach Rungholt gebracht hatte und weil sie ihn ein paar mal wegen ungebührlichen Verhaltens und abfälligen Bemerkungen gegenüber den muggelgeborenen Schülern bestraft hatte. Aber für persönliche Befindlichkeiten hatten sie jetzt keine Zeit.

„Dann holen wir sie. Und die Schwester sollten wir auch wecken, damit sie sich um die Verletzten kümmert.“ So gefiel ihm der Rothaarige schon viel besser. Nicht länger ein Haufen Verzweiflung, das auf den Boden kauerte. Sein Freund, für ihn zählte dieser Junge dazu, war wieder klar und voller Tatendrang. Sie würden zwar so einiges von Professor Klotterbeck zu hören bekommen, aber die Sicherheit der Anderen ging vor persönlichen Ärger. Mit Anjun machte er sich schnellst möglichst auf den Weg zum Schulgebäude.

Während Yana noch mühsam in Richtung Clue kroch, hörte sie einige Meter von ihr entfernt eine Jungenstimme, die wild mit Flüchen um sich schoss. Und diese Stimme klang sehr nach Anjun. Also war er auch nicht von den Irrlichtern verschleppt worden. Mittlerweile hörte sie auch eine zweite Jungenstimme in der Nähe von Anjun. Das Mädchen änderte ihren Plan zu Clue zu kriechen und stand stattdessen stöhndend, jedoch im Kopf immer klarer werdend, auf und tapste im Sand auf die zwei Jungen zu.

Und je weiter sie ging, desto mehr Bewusstsein erlangte sie nach und nach. Der Schleier vor ihren Augen verschwand nun entgültig und Yana konnte zum ersten Mal wieder ganz klar denken. Als sie in die Nähre von Anjun kam, wurde ihr klar, dass der zweite Junge Leon war.

Das Mädchen rief beide Namen: "Leon! Anjun! Was passiert hier!? Was...?" Dann sah sie die verzweifelten Gesichter der beiden und musste schlucken. Was konnte passiert sein, dass sie derart verzweifelt im Sand kauerten?

"Irrlichter", wiederholte Clue schockiert und starrte die Schüler, die immer noch auf die Boote zuliefen - oder wie in Dominics Fall zukrabbelten - an. "Ich komme mit, Selina", beschloss der Junge dann und machte sich gemeinsam auf den Weg, um die anderen 'die noch so etwas wie ein Gehirn hatten', wie Leon es ausgedrückt hatte, einzusammeln. Viel mehr konnten sie vermutlich nicht tun. "Jetzt müssen wir wohl die Lehrer wecken, was?" murmelte er seufzend. Domini würde ihn hassen. Wenn Dominic von diesen.. Dingern mitgenommen werden würde, würde er Clue umbringen. Schweigend rieb er sich seinen schmerzenden Arm. Das war erst der Anfang gewesen. Hätte Clue doch nur auf Dominic gehört und ihn in Ruhe gelassen. Dominic wäre in Sicherheit, im Aufenthaltsraum, wo ihm keines dieser Irrlichter etwas antun würde, und würde seine Hausaufgaben machen. Vielleicht wäre stattdessen Clue entführt worden, aber war das nicht egal? Hauptsache es ging Dominic gut.

"Sina? Marlon? Was passiert hier?" Ängstlich beobachtete Shouky die Situation, die sich um sie herum abspielte. Sie saß mit dem Rücken zum Meer, doch plötzlich schien dort irgendetwas Tolles zu sehen sein, denn alle gingen auf das Meer zu. Nur Anselm saß da wie immer und schien vor sich hin zu träumen. "Sina? Was tust du da?" rief sie ihrer Freundin zu, bekam jedoch keine Antwort von ihr, stattdessen rannte Sina plötzlich wie verrückt in die entgegengesetzte Richtung.
Es wäre wohl keine gute Idee, sich umzudrehen. Mit zitternden Händen sprach Shouky einen Schutzzauber um Anselm, der sowieso von alldem nichts mitbekam, und sich selbst. Sie musste irgendetwas tun. Shouky konnte nicht hier sitzen und warten bis es vorbei war.
Schnell rüttelte sie an Anselms Schulter. "A..Anselm.. hier.. hier geht etwas Komisches vor!" flüsterte sie leise und versuchte, Sina mit ihren Augen zu folgen, doch irgendwann hatte sie das Mädchen aus den Augen verloren. Überall flogen Zaubersprüche durch die Luft und sie hörte die Flüche der anderen, sie hörte Rufe, Namen.. "Anselm!" Der Junge konnte doch nicht ewig in seinen Tagträumen versinken.

Mit schnellen Schritten lief Adrian zum Festplatz und versuchte sich einen Überblick zu verschaffen.
Da war Shouky. Sie saß mit einem Jungen zusammen, den er nicht kannte. Einige jüngere Schüler hatten panische Angst und überall herrschte Chaos.

"Shouky! Gehts dir gut?" Seine erste Priorität war immer noch Shouky. Besorgt fasste er ihr an die Schulter und drehte sie zu sich um.

Zu den anderen gewandt sprach er: "Das waren Meeresirrlichter. Sie wollten euch entführen. Bei einigen haben sie es ja geschafft. Seid ihr alle ok? Ist jemand verletzt?" fragte er nun ganz ruhig und sachlich, wie er es in seiner Ausbildung gelernt hatte. Seine Hände ruhten dabei immer noch auf Shoukys Schulter. Er würde sie so schnell nicht mehr los lassen.
"Bitte versammelt euch alle auf einem Haufen, damit wir sehen können, wer noch da ist und wer fehlt." übernahm er das Kommando, um wenigstens den kleineren Schülern die Angst ein wenig zu nehmen.

Aus den Augenwinkeln sah er, dass Anjun und Leon in Richtung Schulgebäude liefen. Sie würden wahrscheinlich die Lehrer rufen. Er nickte ihnen kurz zu. Das war gut. Dann brauchte er diese Aufgabe nicht noch zu übernehmen und konnte sich hier um die restlichen Schüler kümmern.

Sina kauerte noch immer hinter den Felsen und überlegte sich ihre nächste Attacke gegen Clue. Er musste endlich spüren, dass sie so etwas nicht mit sich machen ließ, als sie plötzlich Adrians Stimme vernahm.
Adrian? Was tat der denn hier? Auf der anderen Seite, warum wunderte sich sich überhaupt darüber? In letzter Zeit tauchte der Praktikant ständig in Shoukys Nähe auf.

Was sagte er da? Irrlichter? Entführung?
Sina brauchte einen Moment, bis sie ihre Gedanken richtig sortiert hatte. Da begriff sie.
Es war überhaupt nicht Clue gewesen, der sie verflucht hatte. Der Junge hatte gar nichts damit zu tun. Es waren Irrlichter, die eine Illusion erzeugten, um die Schüler in ihre Boote zu locken...ähm...moment!

Sina dachte kurz über das nach, was sie gesehen hatte. Die Irrlichter hatten bei ihr die Illusion erzeugt, dass Clue sie zu sich rufen würde und sie hatte sich so geborgen gefühlt....so... geliebt!
Sie schlug die Hände vor ihr Gesicht. Nein! Das konnte nicht sein! Niemals war ihr Herzenswunsch, dass sie mit Clue zusammen kommen würde! Nie und nimmer! Das konnte einfach nicht stimmen.

Sina war den Tränen nahe. Sie verstand die Welt nicht mehr. Was war auf einmal mit ihr los? Wurde sie krank?
Doch sie hatte kaum Zeit noch länger darüber nach zu denken, als Adrian erzählte, dass wohl einige Schüler entführt worden waren und sie sich hier versammeln sollten.

Sina erschrak. Oh nein, wer war unter den entführten Schülern? Shouky? Clue? Was würde mit ihnen passieren? Sie mussten sie unbedingt finden. Sie schob die wirren gedanken über Clue zur Seite und kam schnell hinter den Felsen hervor.
Sie sah die kleine Gruppe, die sich gerade um Adrian und Shouky bildete und schob sich neben ihre Freundin, die sie einmal kurz heftig an sich drückte.
"Mensch Shouky, ich bin so froh, dass du noch da bist."
Verstohlen sah sie sich nach Clue um. Gott sei Dank, da stand er ein wenig abseits.

Dominic hatte sein Ziel erreicht, er saß in einem der Beiboote und war ganz eingelullt von den Gefühlen, die ihn umgaben. Obwohl er nass geworden war und er eigentlich frieren müsste wie ein Schneider fühlte er sich warm und geborgen. Er lag in Fötalhaltung auf dem Boden und bekam gar nicht mehr mit, wie die restlichen Schüler die Beiboote erreicht hatten und sie sich langsam vom Strand lösten. Sie ruderten auf die Schiffe zu, die sich zur Abfahrt bereit machten.

tbc: Das Schiff der Irrlichter (+Lara, +Marlon, +Gisela, +Ben)

Irgendjemand rüttelte unsanft an seiner Schulter und Anselms Augen fokussierten sich wieder auf das Hier und jetzt. Ein wenig irritiert blickte er Shouky an, die ihn auf diese unangenehme Art und Weise zurück in die Realität geholt hatte. Was sie genau gesagt hatte, war nicht von seinem Ohr in sein Gehirn vorgedrungen, er hatte eigentlich nur 'komisch' mitbekommen. Er blinzelte ein paar Mal, bevor er etwas sagte.
"Du findest vierbeinige Mohrrüben mit Killerinstinkt also komisch? Ich fände sie ehrlich gesagt ganz lustig. Auch wenn ich es nicht guthieße, wenn ihre Leib- und Magenspeise Veganer wären. Das haben diese geplagten Wesen nun wirklich nicht verdient. Ich frage mich sowieso, wie aus Fleisch Gemüse werden kann. Ich finde das ja schon umgekehrt kurios... Aber sag mal, was ist hier eigentlich los? Ist die Party schon vorbei? Sieht so aus, als ob ich ne wüste Sause verpasst hätte."

"W..Was?" stammelte Shouky und sah Anselm völlig verwirrt an. Von was sprach der Junge bloß? Doch weiter kam sie nicht, denn plötzlich spürte sie eine Hand auf ihrer Schulter und noch bevor sie reagieren konnte, sah sie Adrian in die Augen. Lächelnd nickte sie. "Ja, mir gehts gut. Ich wollte gerade Anselm.. äh.. Bescheid sagen, sozusagen. Was ist hier los?" Doch Adrian fing schon an zu erklären, und gespannt lauschte Shouky. Entführung! Ob Sina jetzt auch entführt worden war? Und wo war Marlon? Leon? Selina und Lara?
Suchend blickte Shouky sich am Strand um. Adrian hatte gesagt, sie sollten sich versammeln, damit herausgefunden wurde, wer jetzt entführt worden war und wer nicht. Da kam auch schon Sina zur Gruppe und drückte sie an sich. "Sina!" Laut seufzte Shouky auf. "Ich hab' dich wegrennen sehen. Was war denn los?"

Kriemhild Klotterbeck

Als ob man sie herbeigerufen hätte, betrat die Schulleiterin von Rungholt plötzlich den Strand und ließ ihren Blick über das versammelte Chaos schweifen. Sie blickte den einzelnen Schülern ernst ins Gesicht, bevor sich ihr Blick dem Meer zuwandte, dort, wo die Irrlichter zu entfleuchen drohten. Ihr Abschirmzauber hatte also nicht so funktioniert, wie sie es sich erhofft hatte. Auch wenn sie die Irrlichter nicht sehen konnte, so war sie sich doch der magischen Spur bewusst, die sie hinterließen. Einige Schritte hinter ihr war Magister Feddersen.
"Herr Medicus, bitte sorgen Sie dafür, dass die verletzten Schüler in den Krankenflügel kommen. Schwester Hindendrupp erwartet sie dort bereits. Die unverletzten älteren Schüler sammeln sich bitte um mich. Die jüngeren bitte zu Magister Feddersen."

Selina fühlte sich so schrecklich hilflos. Die ganze Zeit hatte sie nur panisch vor Angst herumstehen können und ihre Flüche waren total wirkungslos und würden es auch weiterhin sein, wenn man Leon glauben konnte. Nun konnte sie nur noch zusehen, wie die Boote verschwanden und versuchen, Leonard zu trösten, dem man trotzt aller zurückhaltung die Verzweiflung am Gesicht ablesen konnte. Plötzlich erschrak sie. Die Jungs hatten kaum gesagt, dass sie die Schulleiterin holen wollten, da war die Professorin auch schon plötzlich hinter ihr erschienen. Sofort sammelte sich Ruhe in ihr an, ganz gleich, wie viel Ärger sie alle wohl bekommen würden. Wenn die Lehrer nun da waren, würde sicher alles gut werden, da war sich Selina irgendwie sicher.

Sofort ging sie den Anweisungen der mächtigen Hexe nach und kam direkt zu ihr. Zu den JÜngeren zählte sich die Achtklässlerin selbstverständlich nicht, also gesellte sie sich mit all den älteren Schülern zur Schulleiterin. "Professor, was tun wir denn jetzt? Die Boote sind inzwischen schon längst verschwunden."

„Yana!“ Erleichterung klang in Anjuns Stimme, als ihnen das blasse und noch immer etwas verwirrt aussehende Mädchen entgegen kam. Immerhin hatten es einige geschafft sich den Einflüsterungen der Irrlichter zu entziehen. „Geht es Dir gut? - Wir müssen Professor Klotterbeck wecken, wenn wir die anderen retten wollen. Noch haben wir Zeit. Irrlichter töten ihre Opfer nicht sofort, sondern quälen sie erst mal mit Halluzinationen. Komm schnell!“ Er eilte die Dünen hinauf in Richtung Haupthaus, doch wecken brauchten sie die Schulleiterin nicht mehr. Sie kam ihnen bereits mit großen Schritten entgegen und wies die Kinder in ihrer ruhigen, kühlen und doch freundlichen Art an sich zu sammeln. Anjun fühlte sich auf einmal eingeschüchtert. Wie immer, wenn er in der Gegenwart von Professor Klotterbeck war. Er war sich sicher, dass sie ihn nicht leiden konnte, doch er konnte nicht schweigen. „Wir können unsere Mitschüler doch noch retten, so lange die Irrlichter noch ihre Rache für ihren Schiffbruch an ihnen üben, oder?“, fragte er hoffnungsvoll und sein Blick hatte etwas so flehendes, wie sie es noch nie zuvor an ihm gesehen hatte. //Bitte, lass sie nicht nein sagen.//, dachte er. //Lara darf nicht verloren sein!//

Leon atmet erleichtert auf. Endlich kompetente Hilfe. Bereits auf halben Weg war ihnen Professor Klotterbeck entgegen gekommen. Wie die gute Frau es auch immer machte, brauchte es noch nicht einmal eine Erklärung. Irgendwie war Leon diese Frau unheimlich. Es beruhigte ihn zu sehen, das die Verletzten auf das Schloss gebracht wurden und sich eine kompetente Person um die jüngeren Schüler kümmerte. Ein Teil seiner Sorge wich von ihm, jetzt konnten sich seine Cousine sicher retten. Klotterbeck kannte bestimmt einen Weg dies zu bewerkstelligen.

„Siehst du Kleiner, alles wird gut. Bald wird Lara wieder mit dir spielen.“ Mit seinen Hund zu reden, etwas was von seinen Cousins oft belächelt wurde. Doch für Leon hatte Dolgrin nun einmal den selben Stellenwert wie ein Wesen auf zwei Beinen. Und es half ihm seine Gedanken zu ordnen, die oft wie ein ganzer Vogelschwarm in seinem Kopf herum flogen. „Was können wir tun um sie zurück zu holen Professor. So lange die Lichter noch Spass daran haben, sie wahnsinnig zu machen, haben wir doch noch eine reale Chance?“
Spaß, ja diese Gott verdammten Irrlichter hatten bestimmt ihren Spaß daran. Aber den würden sie diesen Wesen ganz schnell nehmen.Hoffnungsvoll sah er die Lehrerin an. Er wollte und musste daran glauben.

Kriemhild Klotterbeck

Die Professorin wurde sogleich mit Fragen bestürmt, als die Schüler sich um sie zu scharen begannen, doch sie bedeutete ihnen erst einmal nur mit einigen sachten Handbewegungen Schweigen. Als dann auch einen Augenblick Ruhe eingetreten war, begann sie zu sprechen.
"See-Irrlichter bringen ihre Opfer nicht einfach um, das ist korrekt, Herr Hess. Vielmehr ist es so, dass sie sich an ihren Opfern für ihr wirklich oder vermeintlich erlittenes Unrecht rächen und sie mit schaurigen Visionen quälen, bevor sie sich über Bord werfen. Man geht davon aus, dass so auch neue See-Irrlichter entstehen können." Sie sah in die unsicheren Gesichter ihrer Schüler. "Das bedeutet, dass es eine Chance gibt, sie zu retten. Leider ist das nicht so einfach. Ich vermute, das Schiff ist mittlerweile außer Sichtweite, dank des Nebels. Außerdem können wir Lehrer Sie nicht unterstützen, denn See-Irrlichter sind nur für Kinder sichtbar." Sie machte eine Pause. Die Situation war verzwickt. Sie konnte die Schüler eigentlich nicht losschicken, aber andererseits konnte sie die anderen Schüler nicht zurücklassen. "Eingedenk der besonderen Situation können Sie sich freiwillig melden, Ihre Mitschüler zu retten. Magister Pumpernickel ist bei den Schulbooten und macht sie kentersicher, außerdem wird er sie mit einem Zauber belegen, dass Sie sich keine Sorgen um die Fahrt machen müssen, es kommt nur darauf an, Ihre Mitschüler zu finden."
Sie machte eine kurze Pause. "Das ist viel verlangt, doch ich denke, Sie können es schaffen. See-Irrlichter lassen sich durch Zauber, die Sie beherrschen, zeitweise in Schach halten. Mittels Stupor oder Impedimenta können Sie sie auf Distanz halten und auch ihre verzaubernde Wirkung behindern, sodass Sie nicht unter den Einfluss ihrer Illusionen geraten können. Wenn Sie es sogar schaffen, aufrichtiges Mitleid zu vermitteln, auch von Ihren gefangenen Mitschülern, könnte es sogar gelingen, dass Sie die Irrlichter dauerhaft bannen und sie sich auflösen."

Adrian lächelte Shouky kurz an, als er ihre liebliche Stimme vernahm, als sich auch schon Professor Klotterbeck der Gruppe näherte.
Sie trug ihm auf, mit den verletzten Schülern in den Krankenflügel zu gehen.
Langsam machte er sich mit der kleinen Gruppe in Bewegung, als er plötzlich hörte, dass die älteren Schüler sich freiwillig melden konnten, ihre entführten Mitschüler zu retten.

Ein kleiner Schrecken machte sich in ihm breit. Was, wenn Shouky sich melden würde? Sie war so hilfsbereit und selbstlos, dass er sich gut vorstellen konnte, dass sie mitfahren würde.
Es würde ihn umbringen, zu wissen, dass sie in Gefahr bei den Irrlichtern schwebte, während er hier in Sicherheit war und nicht wusste, ob und in welchem Zustand sie wieder zurück kommen würde. Er musste sie unbedingt schützen.

Adrian wies einen der älteren Schüler, der nur wenige blaue Flecken abbekommen und noch ganz stabil aussah an, die Gruppe in den Krankenflügel zu führen, während er sich noch einmal zur Direktorin umdrehte und sie bittend anschaute:
"Ähm entschuldigung, Professor, aber ich dachte, ich könnte vielleicht behilflich sein. Wenn Sie es erlauben, würde ich gerne mit den Schülern zu den Irrlichtern fahren. Ich weiß, ich kann bei der Bekämpfung nicht viel ausrichten, aber ich könnte wenigstens im Hintergrund unterstützend tätig sein und dafür sorgen, dass die Verletzten zumindest eine erste Hilfe erhalten können."

Shouky fragte Sina, warum sie weggerannt war. Sina überlegte kurz. Sollte sie es ihrer Freundin erzählen?
Auf der einen Seite war es ihr unheimlich peinlich und Sina wusste immer noch nicht, was sie darüber denken sollte. Andererseits aber wusste Shouky sowieso schon Bescheid und vielleicht schaffte ihre Freundin es auch -wie so oft- Sina wieder runter zu bringen und zu beruhigen. Nach diesem Wirrwarr in ihrem Kopf brauchte sie das dringend.

Als Professor Klotterbeck plötzlich erschien, wusste Sina jedoch, dass jetzt in diesem Moment nicht der richtige Zeitpunkt war, um mit Shouky über alles zu reden. Sie würde ihr später in Ruhe alles erklären. So flüsterte sie ihr nur kurz ins Ohr: "Ich hab Clue gesehen!" und hoffte, dass Shouky verstand, was sie damit meinte.

Professor Klotterbeck fing an zu reden und erklärte, dass nur sie, also die Schüler, die anderen vor den Irrlichter retten konnten. Sina hörte auf. Irrlichterjagd! Das war genau das, was sie jetzt brauchte. Das würde sie von ihren komischen Gedanken, was Clue anging, ablenken und an den blöden Mistdingern, die es gewagt hatten, ihre Mitschüler zu entführen, konnte sie nun ihre ganze Wut und den Ärger auslassen. Sie würde sie so verfluchen, dass sie nicht wussten, wo vorne und hinten war.

"Ich gehe mit!" rief sie entschlossen aus.

"Clue?" wiederholte Shouky fragend. Das war doch logisch, schließlich war Clue schon die ganze Zeit am Strand gewesen, doch dann verstand sie was Sina meinte. Sie hatte Clue gesehen! Die Irrlichter hatten ihr Clue gezeigt, sozusagen! "Ohh.. äh", stammelte Shouky. Darüber würden sie später wohl länger reden müssen. Die Zeit hier reichte nicht aus, um alle Einzelheiten abzuklären, außerdem fing Professor Klotterbeck schon an zu sprechen und erklärte, dass die Schüler ihre Mitschüler retten würden.
Ohne zu zögern, rief Sina, dass sie mitkommen würde. Und ebenso meldete sich auch Shouky. "Wenn Sina mitkommt, bin ich auch dabei." Das war selbstverständlich. Sie würde ihre Freundin nicht alleine lassen.
Ihr Blick traf auf den von Adrian. Die Lehrer und die Erwachsenen konnten ihnen nicht helfen, sie konnten die Irrlichter nicht sehen. Was musste das für ein Gefühl sein, wenn man nichts tun konnte?

„Ich bin dabei!“ Sofort und entschlossen trat Anjun aus der Reihe der Schüler, froh darüber etwas tun zu können. Er hätte ohnehin nicht still sitzen können, wenn da draußen Lara Gott-weiß-was geschah.

Er stellte sich zu Shouky und Sina und lächelte sie dankbar an. Es war gut Freunde an seiner Seite zu haben. Die impulsive Sina mit ihren wilden Flüchen und die besonnene, ausdauernde Shouky.

„Wir werden alles daran setzen sie zu finden!“, versprach er sich selbst ebenso wie den anderen. Dann sah er Professor Klotterbeck an. „Ich habe feststellen können, dass ein Protego Horribilis die Beeinflussung durch die Irrlichter mindert. Doch nicht sehr lange. Gibt es noch andere Möglichkeiten uns geistig gegen sie zu wappnen?“