NP - Hauptgebäude: Krankenzimmer

Anjun war klar, dass seine Antwort entweder ihn oder Lara in Schwierigkeiten bringen konnte, wahrscheinlich sie beide. Immerhin war es im Dreier-Clan üblich nur innerhalb der Familie zu heiraten. Lara war für Leonard bestimmt, Melanie von Hess Sohn. Dennoch wollte er seine Gefühle nicht leugnen.

„Ich liebe Lara.“, sagte er laut, auch wenn er es vermied die Ärztin dabei anzusehen. „Ich wollte sie nicht verletzen. Das müssen Sie mir glauben.“

Es belustigte Melanie zu sehen, das der Junge sich selbst davor scheute, ihr direkt in die Augen zu sehen. Noch einmal jung und verliebt sein! Vermutlich hatte er das selbst Bild im Kopf, welches ihr Vater über die Jahre hinweg als Fassade aufgebaut hatte und bemühte am Leben zu halten. In den letzten Jahren waren viele aus der Reihe getanzt und hatten sich ihre Partner selbst gewählt. Aus unbedeutenden Familien, einfache Ärzte, Lehrer. Und ihr Vater setzte jedes mal daran, es offiziell unter dem Teppich zu kehren. So eine normale Beziehung wünschte Melanie sich auch für ihre eigenen Kinder. Anina und Leon sollten ihre eigene Wahl treffen wo und mit wem sie glücklich sind. Sie verbarg ihr leichte Belustigung hinter einer neutralen Miene, die Gefühle des Jungen hatten es verdient ernst genommen zu werden.

Sie nahm die offizielle Akte raus und schlug sie auf. Die Feder kratzte über das Papier. „Art der Verletzung.... konnte nicht genau festgestellt werden. Der Form, und der Wirkung nach ein aggressiver Fluch aus nächster Nähe gewirkt. Konnte erfolgreich behandelt werden. Aus dem Chaos resultierend, da nach Aussagen der Schüler viele unter der Kontrolle der Irrlichter gestanden haben... konnte ein Urheber nicht ausgemacht werden.“ Damit schloss sie den offiziellen Bericht, so Unverfänglich das er auch der Kommission des Ministerium stand hielt, die bei einer Angelegenheit solchen Ausmaßes, sicher eine Untersuchung einleiten würde. „Ich werde die Familie nicht über den echten Ablauf, der das Mädchen auf die Krankenstadion gebracht hat, informieren. Es wird bei der offiziellen Version eines unglücklichen Unfalls bleiben, ohne das sie und ihre Familie damit in Verbindung gebracht werden.“

Sie legte den Bericht beiseite und blickte Anjun aus herzlichen, freundlichen Augen an. „Mit einem Eintag in die Akten würde ich ihre Zukunft aufs Spiel setzen und ich sehe in ihnen eine jungen, verantwortungsbewussten Mann, der noch viel erreichen kann. Zudem würde ich ihnen damit jede Chance verbauen, als Partner an der Seite des Mädchens akzeptiert zu werden. Und wie ich meinem Sohn entnommen habe, ist Lara an ihrer Seite aufgeblüht. Dem will ich nicht im Weg stehen.“ Ein weiterer Grund war es, das sie ihrem eigenen Vater nicht noch mehr fruchtbaren Boden, für dessen Vorurteile liefern wollte. Es war Zeit für ein Umdenken und ein solcher Vorfall, der durch die kommende Untersuchung in Öffentlichkeit breit getreten wurde, war dem Ziel nicht dienlich. „Selbstverständlich werde ich trotzdem ihre Eltern informieren, mit der Zusicherung das es keine Konsequenzen für sie und ihre Familie haben wird. Sie wollen sicherlich kein Geheimnis vor ihren eigenen Eltern haben.“

„Sie wollen mir wirklich eine Chance geben?“ Anjun konnte das Erstaunen nicht verbergen. Er hatte mit vielerlei Strafen gerechnet, aber nicht damit. Das passte doch gar nicht zu den von Hess. Immerhin galten sie als die erbittersten Jäger und Rächer. Melanies Vater, Laras Großvater, hatte seine eigene Enkeltochter wegen eines Zauberpatzers erbarmungslos gefoltert. Und jetzt wollte seine Tochter ihm helfen? Der Junge starrte die Ärztin an. Er konnte in ihren Zügen keine Falschheit erkennen, nur Mitgefühl und Freundlichkeit. Auf einmal begriff er, was seine Eltern gemeint hatten, als sie Melanie von Hess als 'eine wirkliche Weißmagierin in dem weißen, ach so weißen Haus von Hess' genannt hatten.

Und was hatte sie gesagt... 'Zudem würde ich ihnen damit jede Chance verbauen, als Partner an der Seite des Mädchens akzeptiert zu werden'? Das klang fast so, als wenn sie seine Beziehung zu Lara billigen würden.

„Wer sind Sie?“, fragte er und Intensität klang in seiner Stimme. „Sie sind es, nicht wahr? Sie sind die Seherin von Heute und Morgen. Ihr Vater behauptet öffentlich, dass er im Spiegelsaal die Schatten der Zukunft erahnt, aber ich habe nie geglaubt, dass das wahr ist. Sie sind es, die den Saal betreten kann und nicht er. Sie sehen, was die Spiegel sagen und er verkündet es nur wenn es im passt, nicht wahr?“

„Ich verstehe durchaus ihr negative Sicht, doch ich muss trotzdem bitten höflicher über meinen Vater zu reden.“ Ihr alter Herr machte viele Fehler und sie stimmte nicht mit seinem Handeln über ein, doch er war immer noch ihr Vater. Und Familie hatten einen hohen Stellenwert. Melanie konnte verstehen das der alte Mann zwanghaft versuchte in der Öffentlichkeit stark zu wirken. Ian stellte ihn in den Schatten. Cornelia war auf der Überholspur. Und der Spiegelsaal verwehrt ihm den Einlass. Es war Zeit für einen Machtwechsel in der deutschen Familie. Damit die junge Generation nicht mit den selben Vorurteilen und dem kranken Ehrgeiz, der Alten infiziert wurde.

„...aber sie haben recht.“ In einem milderen Ton. „Ich bin diejenige, die durch die Schleier sehen kann. Und mein Vater gibt nicht jedes meiner Worte wider. Doch es spielt keine Rolle, ob die Worte weiter gegeben werden oder nicht. Die Zeit befindet sich in einem ständigen Wandel. Mit allem was wir tun, was wir sagen, verändern wir den Lauf. Selbst wenn wir eine Entscheidung treffen, sei sie noch so klein und unbedeutend.“

Dann beugte sie sich ein wenig zu dem jungen Baccaracus und Melanies Blick veränderte sich. „..folgen sie ihrem Herzen. Kommen sie den Bereich der Handlung.“ Melanie zweifelte das der junge Baccaracus im Moment den Sinn ihrer Worte verstand. Aber er würde sich ihrer erinnern, wenn es an der Zeit ist. „Aber genug geredet“, erhob sich Melanie von ihrem Platz. Mit einem Wink, das Anjun ihr bitte folgen sollte. „..sie wollen doch jetzt bestimmt zu Lara. Das Mädchen ist wach, aber noch sehr schwach. Also strengen sie das Mädchen nicht zu sehr an.“

„Danke!“, sagte Anjun schlicht, aber voller Wärme. Langsam stand er auf und ging zum Krankenzimmer. Er war unendlich erleichtert, dass Melanie von Hess ihn nicht verurteilt hatte, doch was würde ihn nun erwarten?

Der Geruch vieler Heiltränke und Kräuter lag in der Luft. Die meisten Verletzten schliefen. Einige wimmerten leise im Schlaf. Lara lag in viele Kissen gebettet und war noch immer sehr blaß. Sie trug einen Verband, aber hatte die Augen aufgeschlagen. Sie würde leben!

Er wollte zu ihr stürzen, sie umschlingen und ihr sagen wie leid es ihm tat, aber er auf keinen Fall wollte er sie aufregen. Es ging nicht um ihn und seine Sorgen. Sie brauchte Ruhe. So kam er nur leise näher und trat scheu zu ihr ans Bett. „Hallo Lara.“, sagte er leise. All seine Gewandtheit und Eloquenz hatte ihn verlassen. Noch immer schmerzte der Gedanke, dass sie hier lag, weil er sie verletzt hatte. „Wie geht es Dir?“

„Und du junger Mann, nimmst einen schwachen Stärkungstrank und gehst schlafen.“, dirigierte Melanie ihren Sohn von Bett weg. „Und was ist mit Anjun, er kriegt doch keinen Ärger?“ Hoffnungsvoll ruhten die Augen ihres Sohnes auf ihr. Melanie versicherte ihrem Kind, das er sich um seinen Kumpel keine Sorgen machen musste. Ehe es sich die Heilerin nicht nehmen ließ ihren Sonnenschein persönlich vor seinem Haus abzusetzen und sich, diesmal ganz im Muttermodus, auf dem Weg noch ein wenig mit ihrem Sohn zu unterhalten.

Lara verfolgte wie Leon von seiner besorgten Mutter nahe zu gezwungen wurde sich endlich etwas Ruhe zu gönnen. Und ihr Cousin hatte sich seinen Schlaf wahrlich verdient, nach dem er ihr in der Kurzfassung erzählt hatte, was bei dem Picknick und auf dem Schiff alles passiert ist. Lara fröstelte leicht. Der Trank brachte ihren Körper langsam wieder auf normal Temperatur. Ein Odenstrank, abgestimmt auf ihre Verbindung mit dem Feuer. Als sie die Decke dichter an sich zog, zuckte sie zusammen, ihr Arm schmerzte bei jeder Bewegung. Mit einem angestrengten Lächeln drehte sie ihren Kopf zu Anjun. Sie sah die Sorge in seinem Gesicht und es versetzte ein Stich im Herz. Er sollte sich nicht wegen ihr so quälen. „..könnte besser gehen, aber jetzt bist du ja da.“ Liebevoll sah sie ihn trotz der Anstrengung an. Lara war einfach nur dankbar das Anjun gekommen war, um ihr beizustehen.

„Und ich werde da bleiben so lange Du möchtest.“, versprach der Junge und tastete nach ihrer Hand, wie um das Versprechen zu besiegeln. Befangen strich er über den Verband. Lara war sehr tapfer, aber er war sich sicher, dass sie Schmerzen hatte. Er senkte den Blick. „Ich...“, er rang nach Worten. „...Es tut mir so leid. Ich wollte das nicht!“

Mit Verwunderung in den Augen blickte sie zu Anjun auf. „Entschuldigen?“ Etwas leiser, „..für was? Es der Einfluss der Irrlichter.“ Sie teilte Leons Meinung. Es war ein Unfall gewesen nicht mehr. Genauso gut hätte sie auf jemand der anderen Schüler treffen können. Und schließlich war sie selbst zuvor so einfach, ohne das sie hatte dagegen ankämpfen können, den Irrlichtern in die Falle gegangen. „Könntest du?“ Jede unnötige Bewegung vermeidend, sich den damit verbunden Schmerz ersparend, deutete sie auf das Wasser, auf dem kleinen Tisch in der Ecke.

„Du verurteilst und verachtest mich nicht?!“ Anjun war so erleichtert, dass er nicht wußte was er sagen sollte. Die ganze Zeit hatte er gefürchtet, Lara könnte sich von ihm abwenden. Sein Herz wurde leicht und frei. Neuer Glanz leuchtete in den müden Augen des Jungen auf, als er das Glas nahm und Lara behutsam stützte, um ihr beim Trinken zu helfen. „Das wäre schrecklich für mich gewesen, wenn Du nichts mehr mit mir zu tun hättest zu tun haben wollen. Ich hätte nicht gewußt wie ich das hätte ertragen sollen.“ Er strich über ihr schwarzes Haar und hauchte einen Kuß darauf. „Nur dich sterben zu sehen, wäre schlimmer gewesen. - Als die Irrlichter dich entführten, hatte ich keine ruhige Minute. Ich mußte Dich finden. Ich hatte Angst ich würde Dich verlieren.“

Das kalte Wasser, welches ihre Kehle herunter floss, war eine Wohltat. Als hätte sie Tage nichts getrunken, so ausgedörrt kam sich Lara vor. Vorsichtig hielt Anjun sie dabei, als wäre das Mädchen zerbrechlich wie Porzellan. „Wie könnte ich.“ Kurz wurde Körper von einem Husten geschüttelt. „..ich kann mich nicht an viel erinnern. Irgendwie, die Kette die du mir geschenkt hast. Sie wollten mir vorgegaukelt das du nichts mehr von willst. Ich musste nur die Kette anfassen, um nicht aufzugeben.“ Ein warmes Lächeln, intensive wie die Sonne. Man merkte deutlich wie Lara das viele Reden anstrengte. „Eigentlich wollte ich dir..mein Geschenk.“ Sie wollte sie aufrichten, um nach ihrer Jacke zu sehen, sie hatte die Jacke doch am Strand und in der Zelle noch angehabt, war aber einfach zu erschöpft. „Meine Jacke? Die müssen sie hier irgendwo haben.“ Sie hoffte das Anjun verstand und vielleicht die Schwester fragte, wo sie ist. Für lange Erklärungen fehlten ihr einfach die Kraft.

„Leg Dich hin. Ruh Dich ein wenig aus.“ Anjun ließ Lara in die Kissen gleiten und sah sie besorgt und liebevoll zugleich an. Die Lara, die er kannte war stark, wild und trotzig. Sie sollte nicht so erschöpft und zerbrechlich aussehen. „Ich möchte Dich nicht anstrengen. Ich hole Deine Jacke und dann schlaf etwas. Ich werde hier sitzen.“ Er erhob sich und sah sich suchend um. Am Fuße des Bettes entdeckte er eine Kisten, in die man Laras persönliche Sachen gepackt hatte. Er holte die warme Jacke hervor und reichte sie seiner Freundin.

„Danke.“ Sie ließ von Anjun ein wenig in die Senkrechte helfen und angelte einen marmorierten Umschlag mit einem roten Siegel aus der Jackentasche. Im Wachs des Siegels zeichneten sich die Konturen, des Wappen der Ries ab. Matt, Anjun den Umschlag hinhaltend, das ziehen in Arm für einen kurzen Augenblick ignorierend, sank sie zurück in die Kissen. Nichts lieber als zu schlafen, aber sie wollte so gerne noch sein Gesicht sehen. Zudem war sie sich nicht wirklich sicher, ob Anjun das Geschenk überhaupt annahm. Immerhin wären er und seine Eltern dann, wohl oder übel gezwungen gewesen, sich mit ihrer deutschen Familie abzugeben, auch mit Ludolf von Hess, der unweigerlich auf dem Neujahrsball ihrer Tante anwesend wäre. Unsicher blickte sie zu ihm auf. „Du musst nicht.“ Sie machte sich innerlich auf eine Absage gefasst.

„Ob ich komme?!“, rief Anjun ebenso fassungslos wie erfreut aus. „Natürlich komme ich. - Eben dachte ich noch, ich würde ich für immer verlieren und nun möchtest Du mit mir zusammen auf den Ball gehen. Wie könnte ich da nein sagen.“

Ihnen beiden war klar was es hieß, wenn man ihn als offizielle Ballbegleitung von Lara einlud. Sie hatten endlich die Chance ihre geheim gehaltene Beziehung öffentlich zu machen. Ihm kamen Melanie von Hess Worte in den Sinn. Sie mußte gewußt haben, dass er eingeladen war. Er hatte sie wirklich völlig falsch eingeschätzt.

Er beugte sich über Lara und küßte ihr blasses, müdes Gesicht. „Ich werde aller Welt zeigen, dass wir zusammen gehören.“ Er streichelte ihr weiches Haar.

Lara genoss die Hand, wie sie warm und sanft über ihre Haare strich. Ihr Herz zersprang vor Freunde. Anjun war wirklich bereit es für sie mit den von Hess aufzunehmen. Wirklich glauben das es wahr ist konnte das Mädchen vermutlich erst, wenn er auch ganz bestimmt mit seinen Eltern nach London zum Ball kam. „Ich danke dir!“ Die Augen fielen ihr inzwischen fast schon von alleine zu. Und so erschöpft wie ihr Freund aussah, hatte der auch dringend etwas Schlaf nötig. „Ich würde jetzt gerne etwas schlafen und solltest dich auch ausruhen..“ Schon waren ihr die Augen zu gefallen und man hörte nur noch ihren ruhigen und regelmäßigen Atem.

„Schlaf meine Liebste.“, flüsterte er und hauchte Küsse auf ihre geschlossenen Lieder. Auch er fühlte wie müde er war. Seine Knie waren weich und alles tat ihm weh. Mit schweren Armen griff er nach einer Wolldecke auf einem leeren Bett und lehnte sich im Sessel neben Laras Bett zurück. „Einen Augenblick bleibe ich noch bei dir.“, murmelte er müde und schloß die Augen. „So lange bis du ruhig eingeschlafen bist.“

Eine halbe Stunde später fand Melanie von Hess einen schlafenden Nachtkrab neben ihrer Nichte.