Rungholt: Meer um Rungholt

pp: Der Strand (+Högni)

„Na, wo habt ihr die Stäbe denn ungefähr verloren?“, fragte Timon Högni, während er vom Ufer wegruderte, „ich hoffe, sie sind noch nicht zu weit abgetrieben…“

Högni sah über seine Schulter. Das Meer um Rungholt war leider hier nicht magischer als an anderen Orten (gut, wenn man vielleicht von dem Wellenzauber absah, der in Seenot geratene Schüler blitzschnell an Land spülte) und somit war außer lustigen Wellenbergen und -tälern nichts zu sehen, nichts jedenfalls woran man eine Position festmachen konnte. Högni sah wieder zum Festland. "Irgendwo auf Höhe von Frau...naja, der Eisverkäuferheinzelfrau. Aber auf alle Fälle noch ein Stück weiter draußen."

Er lehnte sich im Boot zurück während Timon ruderte. "Das war vielleicht eine irre Sache, sage ich Dir", grinste er. Jetzt, da er die Mädchen sicher zurück an Land wusste, fand er die ganze Sache doch auch wieder ganz komisch. "Hast Du gewusst, dass Amabella nicht schwimmen kann? Mensch, hätte ich die gefragt, ob sie mit aufs Meer kommen mag, wenn ich das gewusst hätte?" Es war natürlich eine rhethorische Frage.

"Und ich habe erst gedacht, die blödelt rum, als die so durchs Wasser gepaddelt ist", fuhr er fort, "und kaum war sie wieder im Boot hat sie es geschafft, damit zu kentern, natürlich mit all unseren Sachen drin. Ich meine...nimmst Du Deinen Zauberstab zum Baden mit ins Meer? Ich jedenfalls nicht." Er richtete sich ein wenig auf. "Die Stäbe zu sehen dürfte schwer werden, aber vielleicht Amabellas Tasche und mein Shirt. Müsste doch irgendwo rumschwimmen, oder?"

Timon lachte, als Högni ihm die Geschichte erzählte, wie sie die Zauberstäbe verloren hatten. „Das nächste Mal kaufst du dir ne Badehose mit einer extra Zauberstabtasche, wenn du mal wieder mit den Mädchen paddeln gehst“, schlug er grinsend vor, „das ist wohl sicherer. Aber ich versteh trotzdem nicht, warum Amabella mit euch ins Wasser geht, wenn sie nicht schwimmen kann. Das gibt’s doch gar nicht!“, Timon schüttelte den Kopf, „ist das Mädel denn völlig übergeschnappt? Und sagt auch noch kein Wort! Also sowas…“ Er ruderte weiter, bis sie sich ungefähr auf Höhe des Eisstandes befanden. „So, hier irgendwo muss es sein“, meinte er und schaute sich suchend um.
„Wieso kann sie eigentlich nicht schwimmen?“, kehrte er zum ursprünglichen Thema zurück, „Ich meine, sie ist immerhin schon“ – er überlegte kurz – „in welcher Klasse ist sie nochmal? Auf jeden Fall hatten ihre Eltern ja wohl genug Zeit, es ihr beizubringen. Kann sie es wirklich gar nicht? Oder nur ziemlich schlecht?“ Timon konnte es kaum glauben.
Da entdeckte er etwas weiter von ihrer Position entfernt etwas, das auf dem Wasser zu treiben schien. „Da, schau mal“, er stieß Högni an und deutete in die Richtung, „ist das was von euch?“

"Naja, ich habe sie nicht ausdrücklich gefragt, ob sie schwimmen kann", meinte Högni und sah über das Wasser, auf welchem sich in den Wellen die nachmittägliche Sonne brach. "Ich verstehe auch nicht, warum sie überhaupt mitgekommen ist, wenn sie es nicht kann. Und" - setzte er zur Verdeutlichung hinzu - "sie kann es gar nicht. Also zum Glück ist sie im Wasser nicht in Panik geraten, aber naja...schwimmen sieht anders aus."

Er folgte Timons Blick und entdeckte, was auch sein Freund im Wasser treiben sah. "Das könnte mein Shirt sein", entschied er. "Probier mal, ob Du mit einem Accio meinen Zauberstab herholen kannst. Der ist mir im Moment wichtiger als das Shirt." Er grinste und nahm von Timon die Paddel entgegen. "Meinst Du, Amabella wollte Kathy und mir irgendwas beweisen?", kam er aufs Thema zurück. Dass sie vielleicht in ihn verschossen sein könnte und deshalb mitgekommen war, kam ihm als Gedanke kurz in den Sinn, aber er schob ihn eilig beiseite. Das wäre irgendwie peinlich, oder?

"Oh Mann." Timon schüttelte verständnislos den Kopf. Dass man einfach so ins Wasser ging, wenn man kein bisschen schwimmen konnte, wollte ihm einfach immer noch nicht einleuchten. Er drückte Högni die Paddel in die Hand und griff nach seinem Zauberstab in der Hosentasche.
Auf die Frage seines Freundes zuckte er nur mit den Schultern. "Keine Ahnung. Vielleicht war es ihr einfach nur peinlich, dass sie nicht schwimmen kann und sie hat gehofft, dass ihr es nicht merkt, wenn sie nur ein bisschen im Wasser rumpaddelt. Wenn du mich fragst, ist das aber ja wohl noch viel peinlicher..." er grinste. "Muss ziemlich blöde ausgesehn haben, wie sie da im Wasser rumdümpelt..." Er unterbrach sich. "Was meinst du denn, warum sie das getan hat?" Er kannte seinen Freund mittlerweile lange genug, um zu wissen, dass dieser eine Vermutung hatte, die er nur nicht aussprechen wollte, obwohl Timon sich im Moment nicht vorstellen konnte, welche das war.
"So, dann angeln wir mal ne Runde", er klatschte unternehmungslustig in die Hände, richtete sich auf und zielte mit dem Zauberstab ungefähr in die Richtung, wo Högnis Shirt auf dem Wasser trieb. "Accio Högnis Zauberstab!"

"Heureka", entfuhr es Högni, als tatsächlich ein Stück Holz aus dem Wasser geschossen kam und von ihm kurz vor Timons Nase aus der Luft gefangen wurde. Anscheinend hätte Högni auch einen guten Sucher abgegeben. "Das war einfacher als gedacht", grinste er. "Dann noch Amabellas Stab und natürlich Kathys. Ich versuche mich mal an den anderen Sachen." Er richtete seinen Stab auf das Wasser. "Accio, Amabellas Tasche", befahl er. Er wusste genau, wie diese aussah, weshalb die Tasche das tat, was jeder Gegenstand in diesem Fall gemacht hätte und durchs Wasser gerauscht kam.

"Naja, wenn Du mich fragst", begann Högni, während er die Tasche ins Boot zog, "vielleicht...meinst Du, sie wollte mich damit beeindrucken? Ich meine wir hatten da beim letzten Walpurgisfest so eine komische Unterhaltung. Ich glaube, dass sie vielleicht in mich verschossen ist." Er vermied es erst Timon anzusehen, linste dann aber doch mit einem Grinsen zu seinem besten Freund. "Meinst Du, das könnte sein?" Er erinnerte sich daran, wie Amabella unbedingt mit ihm den Sprung über das Feuer hatte machen wollen und was es für ein Theater gewesen war, dass er erst Kathy gefragt hatte. Und dann hatten sie diese komische Unterhaltung am Feuer geführt. Er wurde aus dem Mädchen einfach nicht schlau.

"Umpf", entfuhr es Timon. Mit dieser Antwort von Högni hatte er nun wirklich nicht gerechnet. Naja, Högni und er kannten sich schon recht lange und erzählten sich eigentlich immer alles - aber über Mädchen hatten die zwei noch nie gesprochen. Mit einem zu seiner Überraschung passenden ziemlich verdutzten Gesichtsausdruck drehte er sich zu Högni um, der ihn ein wenig unsicher angrinste. "Also...öh..." Dies war einer der wenigen Momente, in denen selbst Timon kein passender lockerer Spruch mehr einfiel.
Und so sagte er erst einmal nichts, sondern fischte stattdessen mit einem weiteren Accio nach Amabellas und Kathys Zauberstäben, während er sich eine Antwort überlegte.

Als er die beiden nassen Stäbe in der Hand hielt, meinte er ein wenig unsicher: "Ja, ich schätze, das könnte wohl wirklich sein." Unsicherheit gehörte normalerweise nicht zu Timons dominierenden Charaktereigenschaften, doch diese Situation war auch alles andere als 'normal'. Er setzte sich neben Högni ins Boot, denn hier bestand dringender Klärungsbedarf, fand Timon. Zumal sich sein Freund offenbar schon länger mit diesem 'Amabella-Problem' herumzuschlagen schien. "Erzähl doch erst mal von eurer 'komischen Unterhaltung' am letzten Walpurgisfest", forderte er Högni auf.

"Naja, so genau habe ich das nicht mehr im Kopf", meinte Högni und zog sein Shirt aus dem Wasser, um es auszuwringen. "Wir hatten es irgendwie von Anselm und Eulalia, die da recht frisch zusammen gekommen waren und dann irgendwie ging es um Beziehungen und Küssen und Händchenhalten und solche Sachen..." Er zuckte mit den Schultern.

Er hatte Amabella gesagt, dass das nicht so sein Fall war, weil es ihm peinlich erschien, sich so in der Öffentlichkeit zu...naja, aber im Grunde fand er die Vorstellung sie zu küssen irgendwie doch ganz...interessant. Allerdings sicher nicht vor der versammelten Schule oder wenn dann nicht im Ernst. Irgendwie war er sich noch immer etwas unsicher, was seine Gefühle bei der Sache angingen. Außerdem hatte er doch keine Ahnung, wie man da vorgehen sollte.

"Ich habe mir nicht so viel dabei gedacht, aber dann hat sie das Gespräch recht abrupt abgebrochen und ist dann gegangen." Er zuckte erneut mit den Schultern. "Es war aber auch schon spät und irgendwie war sie ohnehin komisch drauf. Aber danach war eigentlich alles wieder recht normal, also so wie halt immer. Ich meine, ich bin viel mit ihr zusammen, aber das bin ich auch mit Dir oder mit Kathy, um mal bei Mädchen zu bleiben."

Timon konnte kaum glauben, was er da hörte. Högni redete mit Amabella über 'Beziehungen und Küssen und Händchenhalten und solche Sachen'? Derselbe Högni, mit dem er nächtelang herumblödeln konnte und Froschlaich in Teetassen füllte (Timon konnte sich noch gut an diese 'Schandtat' in ihrem zweiten Rungholt-Jahr und die darauf folgende Strafe erinnern)? "Tja, damit ist die Sache wohl relativ klar", stellte recht nüchtern er fest, "Amabella steht wohl wirklich auf dich." Er hob eine Hand, um eine Fliege zu verscheuchen, und sprach danach weiter. "Und was willst du jetzt machen? Ich meine", er sog hörbar die Luft ein und grinste seinen Freund an, "stehst du auch auf sie?"

"Unghpf." Högni musste kurz husten. Im Grunde hatte er sich das auch schon gefragt, aber so direkt verbal an ihn herangetragen wirkte die Frage lachhaft. Mädchen waren...nun, Mädchen eben. Händchenhalten war schwul. (Högni schickte ein gedankliches "Sorry, aber so ist es" an Dominic.) Und küssen war in erster Linie feucht und etwas, das Mütter mit ihren Söhnen machten, wenn sie grad mal 'so niedlich' guckten. Andererseits war da doch noch mehr bei der Sache, etwas, das Högni nicht so ganz benennen konnte. Irgendwie aufregend war es schon. Aber irgendwie auch...

"Sie ist nett, aber ich glaube..." Er schüttelte den Kopf. "Ich brauche sie nicht ständig an mir kleben, Händehalten habe ich im Kindergarten schon nicht gemocht und, eh, naja, Du weißt schon." Er beließ es bei einem Schulterzucken und ließ sich auf die Ruderbank fallen. Sie hatten alle Sachen zusammen und dümpelten jetzt eigentlich grundlos im schönen Sonnenschein auf dem Meer. Högni sah zum Strand zurück. Amabella war nicht mehr zu sehen. Anscheinend hatte sie nicht auf ihn warten wollen und auf ihre Sachen. Irgendwie ärgerte ihn das. "Ich bleibe lieber bei Quidditch", sagte er. "Da weiß ich wenigstens woran ich bin." Er grinste.

"Und Quidditch hat klare Regeln", fügte Timon hinzu, froh darüber, dass das Gespräch wieder in eine andere Richtung verlief, bei der sein Freund und er nicht mangels passenden Ausrucksvermögens hauptsächlich auf diverse Urlaute wie 'Umpf' und 'Unghpf' zurückgreifen mussten. "Das macht es wesentlich einfacher. So", er schaute sich prüfend im Boot um, "haben wir alle Sachen zusammen? Dann könnten wir nämlich wieder zurück. Wie spät ist es eigentlich?" fragte er Högni, "mein Magen meldet jedenfalls 'Zeit fürs Abendessen'."
Eigentlich besaß Timon ja selbst eine Uhr, nur hatte er die wohl ebenfalls -wie er gerade feststellen musste- zuhause liegen lassen. "Tja, das bedeutet wohl noch einen Brief nach Hause", dachte er laut mit einem Blick auf sein leeres Handgelenk, denn soweit er wusste, war auf der Socken-Federn-Turnschuh-und-anderes-Liste von heute Nachmittag die Uhr noch nicht verzeichnet gewesen.

Högni lachte bei Timons ratlosen Blick auf sein Handgelenk. "Vielleicht solltest Du Deine Truhe in den Ferien einfach überhaupt nicht mehr auspacken", schlug er vor und legte sich in die Riemen. Er ruderte das Boot zurück zum Strand.

tbc: Der Strand (+ Timon)