Amabella/Meo/Anjun - Tanz im Wald

„Ja, gut so! Jetzt einen Ausweichschritt! Achte auf Deine Parade!“

Mittlerweile war es September und nicht mehr besonders warm. Dennoch lief den beiden Schülern der Schweiß über die Stirn, so hart hatten sie in der letzten Stunde trainiert. Mittlerweile folgte auf jeden Angriff eine Parade. Nicht immer erfolgreich, aber immerhin. Meo machte rasche Fortschritte, wie Anjun bemerkte. Es begann mehr Spaß zu machen sie zu unterrichten.

"Ja, mach ich doch ... so okay?" fragte die kleine Rothaarige, die immer in Bewegung war. Meo fand das es für September schon viel zu kalt war und stellte sich schon darauf ein eine Erkältung zu bekommen, da sie so sehr schwitzte. Gwinn saß auf einem Stein und sah zu wie die Beiden mit den Holzstäben auf sich einschlugen, wäre es nicht so kalt hätte er sehr gerne zugeschaut, aber unter diesen Umständen fand er es viel schöner neben Meo im Gemeinschaftsraum zu sitzen.

Die Schläge kamen jetzt immer schneller. Links, rechts, oben, unten. Anjun forderte alles von Meo. Die beiden Schüler keuchten vor Anstrengung, aber keiner von ihnen wollte aufgeben. Da machte der ältere Nachtkrabs einen Ausfall und traf Meo hart am Handgelenk. Sie stöhnte vor Schmerz auf, als sie den Degen verlor und Blut an der Elle hervorquoll. Gwinn keckerte empört und Anjun sah das Mädchen erschrocken an. „Es tut mir leid. Ich wollte nicht so hart zuschlagen.“ Der Junge ließ den Stock sinken und streckte die Hand nach ihrem Arm aus. „Lass mal sehen.“ Versichtig untersuchte er sie und sprach dann einen Episkey über den sich immer weiter ausbreitenden blauen Fleck. Während er beobachtete wie sich die Haut wieder regenerierte, blieb sein Blick an dem Armband des Mädchens hängen. Ein kleines Medaillon war daran befestigt. Nun war es aufgesprungen und gab den Blick auf eine freundliche Frau mit großer Ähnlichkeit zu Meo frei. „Wer ist das?“

"Meine Ma, sie ist circa ein Jahr nach meiner Geburt gestorben." murmelte Meo und reib sich über den Arm, an der Stelle an der Anjun sie getroffen hatte. Gwinn kam keckernd angerannt und sprang auf Meos Schulter. Der kleine Marder fauchte Anjun an, er war sauer. "Meo, warum um Himmelwillen machst du unbedingt so einen gefährlichen Sport?", keckerte er in Meos Ohr.
"Weil es Spaß macht ...", antwortete die Rothaarige in unschuldigem Ton.

Anjun nahm das Medaillon in die Hand und betrachtete das Bild darin genauer. Es zeigte eine zierliche Frau mit feingeschnittenen, hellen Zügen. Ihre feuerroten Haare fielen auf ihr gelbes Sommerkleid herab, während sie mit konzentrierter Mine auf etwas zu balancieren schien. Dem jungen Baccaracus stockte der Atem. Eine ähnliche Frau hatte er vor gar nicht allzu langer Zeit auf dem Ball der von Gobs gesehen. Sie war älter und ihre Züge voll Hochmut und Ehrgeiz, wo das Gesicht dieser Frau weich und mild war, doch die Ähnlichkeit war unverkennbar.

„Wie heißt Deine Mutter?“, fragte er tonlos, während er noch immer auf die verblüffende Ähnlichkeit starrte.

Meos Augenbrauen zogen sich kaum merklich zusammen, als Anjun ihr Armband genauer musterte. Als der junge Nachtkrab dann noch fragte, wie ihre hieß, hob die Rothaarige die Augenbraunen.
"Sie hieß Samantha Lyrics, sie ist kurz nach meiner Geburt gestorben. Warum interessiert dich das?" fragte Meo leicht verwirrt, während Gwinn aus Langeweile an ihren Haaren knabberte, was sie nicht weiter störte.

„Sie sieht einer sehr bekannten Hexe ziemlich ähnlich.“, erwiderte Anjun, während er nachdenklich das Medaillon in seinen Händen betrachtete. „Hast Du schon einmal von Marie-Ann von Germing gehört?“

In Meos Kopf ratterte es, hatte sie diesen Namen schon einmal gehört? Von Germing kam ihr bekannt vor, aber woher? Wenn Mutter diesen Brief finden würde, das eine von Germing mit einem Muggel heiratet. Da war es wieder, die Briefe!
"Von Marie-Ann habe ich noch nie etwas gehört, aber von Germing." murmelte Meo leise, wie um sich selbst zu überzeugen, hatte sie sich richtig erinnert, oder spielte ihr Gedächtniss ihr einen Scherz?

„Die von Germings sind eine der mächtigen alten Familien. Marie-Ann von Germing ist das Oberhaupt dieser Dynastie.“, half Anjun dem Mädchen auf die Sprüngen und beobachtete, ob sich in ihren Zügen etwas regte. „Deine Mutter sieht ihr sehr ähnlich. Und Du sprichst die Sprache der Marder. Ich frage mich, ob es da einen Zusammenhang gibt...“

"Ich soll etwas mit einer `sehr mächtigen und alten Familie´ zu tun haben? Okay ich kann mit Mardern sprechen und ... ich kann nicht einschätsen ob meine Ma dieser Marie-Ann ähnlich sieht, aber wenn du das sagst wird das schon stimmen ... aber meine Ma hieß Lyrics und nicht von Germingen ... vieleicht ist das ja ein Zufall." sagte Meo leicht misstrauisch, warum sollte gerade sie etwas mit dieser Familie zu tuhn haben? Aber trotzdem konnte die Rothaarige die Neugirde in ihrem Gesicht nich ausschalten.

„Ich weiß nicht.“, sagte Anjun vorsichtig und strich sich eine Strähne aus dem verschwitzten Gesicht. „Wahrscheinlich hast Du recht und es ist alles ein Zufall. Mir ist jedenfalls kein verleugneter Zweig der von Gemmingens bekannt. - Allerdings verleugnet man ja deswegen seine Verwandtschaft, damit die anderen alten Familien nicht merken, dass man Squibs und Blutsv... äh … Leute die Muggel geheiratet haben in der Familie hat.“

Der Junge betrachtete das Mädchen vor ihm genau, studierte ihre Züge und ließ dann den Anhänger mit dem Foto darin durch seine Hände gleiten. „Ich kennen niemanden namens Lyrics. Es ist ein ungewöhnlicher Name. Fast wie ein Pseudonym. Du kennst nicht zufällig weitere Verwandte Deiner Mutter?“

"Nein ich kenne keine Verwandte meiner Ma, Mo hat mir erzählt das sie einen Bruder hat ... den habe ich aber noch nie gesehen, mein Papa auch nicht. Aber warum sollte sie sich ein Pseudonym zulegen? Das klingt mir etwas zu sehr nach ... einem Märchen oder so etwas." meinte Meo mit ruhiger Stimme.

„Ja, wahrscheinlich hast Du recht.“ Anjun gab Meo ihr Medaillon zurück. „Es machte nur auf einmal so viel Sinn, dass du mit Mardern sprechen kannst.“ Er schüttelte den Kopf, wie als müsse er einen Gedanken verscheuchen. „Wollen wir weiter machen mit dem fechten oder mußt Du noch Hausaufgaben machen?“

"Ich habe noch Hausaufgaben..." sagte Meo und zog die Nase kraus. Sie packte ihre Tasche und ließ Gwinn auf ihre Schulter klettern. Auch Anjun nahm seine Sachen und sie gingen los. "Kannst du mir vieleicht noch etwas über diese von Germingens erzählen?" fragte die Rothaarige und in ihrem Gesicht konnte man sehr große Neugierde lesen.

Anjun überlegte kurz, beschloss dann aber ganz offen zu sein. Wenn Meo wirklich etwas mit dieser Familie zu tun hatte, dann hatte sie ein Anrecht darauf.

"Die von Germingens sind eine der alten Familien und leben seit dem Mittelalter hauptsächlich im Nordosten Deutschlands. Sie haben noch einen Nebenzweig, die van Revins. Ihr derzeitiges Oberhaupt ist Marie-Ann von Germing. Sie müsste schon Mitte sechzig sein, sieht aber aus wie höchstens vierzig und hält sich mit verschiedenen Zaubern äußerst attraktiv. Ihr Mann Dannyl Lorlen von Germing hat nicht viel zu sagen und wirkt irgendwie depressiv. Ihrer beider Sohn Lorlen von Germing ist da schon ein anderer Schlag. Er steht noch immer unter der Fuchtel seiner Mutter, aber er beginnt zunehmend die Familie auf seine Seite zu ziehen. Er ist das zukünftige Familienoberhaupt und vertritt ganz andere Ansichten als seine Mutter. Er ist uns im Grunde zu liberal, aber seiner Mutter ist noch schwerer erträglich. Er hat seine Tochter nicht nach Rungholt, sondern Hogwarts geschickt. Möglicherweise, damit sie nicht in die Clanstreitigkeiten verwickelt wird. Sie sieht Dir ähnlich, auch wenn sie dunkle Haare hat und sie kann wie alle Mitglieder der Familie auch mit Mardern reden."

Meo hörte Anjun aufmerksam zu und als er beendet hatte fragte sie: "Was bedeutet liberal?" Sie kam sich bei der Frage zwar etwas blöd vor, aber das war ihr egal. "Und die können alle mit Madern reden, so wie ich? Und diese Dunkelhaarige soll mir ähnlich sehen?" fragte Meo eher sich selbst. Sie fand das ganze interessant, aber doch etwas seltsam. Aber wenn Anjun meinte das ihre Ma diesen Menschen ähnlich sah würde es bestimmt stimmen. Aber warum war sie dann als Muggel mit Mo geheiratet oder war sie eine Squib? Viele Gedanken schwirrten durch Meos Kopf.

„Lorlen von Germing hat einfach eine andere politische Haltung, als meine Familie.“, meinte Anjun schulterzuckend zu Meo. „Er mag Muggel viel mehr als wir und er ist dagegen, wenn alte Familien Privilegien haben. Manche Zauber will er verbieten lassen. Da ist er dann nicht mehr liberal, das heißt freiheitlich gesinnt.“

Der ältere Nachtkrabs musterte das Mädchen skeptisch. „Das hat alles viel mit Reinblüterpolitik zu tun.Auch das mit Deiner Mutter könnte damit zu tun haben.“ Er zog die rötlichen Augenbrauen zusammen und setzte sich ins Gras.

„Weißt Du, die Fähigkeit mit Mardern zu sprechen ist extrem selten. Nach meinem Wissen kommt sie nur in der Familie von Germingen vor. Meine Familie ist mit vielen großen alten Familien in Europa verwandt. Daher kennen wir die Verhältnisse in Großbritannien, Frankreich, Italien, Österreich und Polen sehr gut. Und in Deutschland, sowie in keinem dieser Länder ist je ein Magier aufgetaucht, der mit Mardern sprechen konnte, ohne dass er wenigstens um ein paar Ecken mit den von Germingens verwandt war. Und auf einmal bist Du hier. Ein scheinbar muggelgeborenes Mädchen und doch sprichst Du mit Mardern und trägst das Bild deiner Mutter mit Dir, die Marie-Ann von Germing wie aus dem Gesicht geschnitten ist. Natürlich läßt das die Frage aufkommen, ob es da nicht eine Verbindung gibt.“

Der Junge fuhr sich durch die Haare. Eine Mischung aus Unwillen, Überforderung und Nachdenklichkeit zeigte sich auf seinen edlen Zügen. Eine Mischung, die Meo nicht ganz einordnen konnte und die auf Gedanken und Befürchtungen verwies, von denen sie nichts ahnte.

„Reinblüterpolitik...“, begann er vorsichtig. „...ist nicht immer... sanft. Weder gegen die eigene, noch gegen andere Familien. Und sie ist für Außenstehende schwer zu verstehen. Bisweilen kommt es vor, dass Teile der Familie verstoßen werden. Aus politischen Gründen, weil sie die falschen Leute geheiratet haben oder ganz einfach weil sie Squibs sind. Diese werden dann vollkommen isoliert, aus den Stammbüchern getilgt und jedes Andenken an sie vernichtet. Ich gehe davon aus, dass dies an irgend einem Punkt in der Geschichte deiner Vorfahren geschehen ist. Ich vermute Du bist nicht wirklich muggelgeboren, sondern stammst von den von Germingens ab.“

Anjun hob den Blick und sah sie mit seinen klaren eisblauen Augen sehr ernst an. „Ich weiß nicht, ob es gut für dich wäre, wenn Du wirklich aus einem verstoßenen Zweig dieser Familie stammst. Alte Familien können sehr grausam sein, wenn es um ihre Ehre und um Familienangelegenheiten geht. Aber ich kann versuchen es herauszufinden.“

Meo hörte Anjun aufmerksam zu und als er geendet hatte berührten sich die Augenbrauen der Rothaarigen fast. "Das ist doch bescheuert! Entschuldige ich will dich nicht beleidigen oder so, aber ihr Reinblüter seid doch echt bescheuert. Okay es gibt garantiert nette Reinblüter, wie du zum Beispiel, aber wie können Menschen so etwas tun? Denn das sind wir alle, egal ob Muggel, Zauberer oder Squib .... Wie kann man, angenommen das das was wir hier gerade zusammen gesponnen haben wirklichkeit ist, seine eigene Tochter verstoßen nur weil sie keine magischen Fähigkeiten hat?" sagte Meo leise und auch etwas traurig. Auch wenn das nicht stimmte, man konnte doch keine Menschen einfach so verstoßen ....
"Ich glaube ich will nicht wissen was du mit "Alte Familien können sehr grausam sein, wenn es um ihre Ehre und um Familienangelegenheiten geht." meinst, aber ... ich wäre es meiner Ma schuldig ihrer Familie zu erzählen das sie gestorben ist ... wenn es denn so ist." stellte Meo mit fester Stimme fest.

Anjun hielt Meos Arm fest, der mit dem Degen in der Hand vor innerer Erregung auf und ab peitschte und zwang sie dadurch ihn anzusehen. "Ich kann Dir nicht versprechen, dass das was du erfahren wirst dir gefallen wird.", sagte er mit ungewöhnlichem Ernst in der Stimme und sah ihr in die Augen. "Aber ich verspreche dir Nachforschungen anzustellen."

Er ließ sie los und strich fast bedauernd über ihre Schultern; nur über die eine, denn er vermied es dem bissigen Marder, dem er die Hörner angehext hatte, zu nahezu kommen. "Ich muss dazu mit meinen Eltern reden. Würdest du mir dazu dein Medaillon leihen?", fragte er und streckte die Hand nach dem silbernen Anhänger aus.

"Bis dahin ist es besser, wenn du vermeidest mit Reinblütern über diese Angelegenheit zu sprechen. Die Welt der alten Familien ist kompliziert und verflochten. Fast jeder ist mit jedem verwandt und es mag Gründe geben, warum dein Teil der Familie verstoßen wurde. Als Außenstehende weiß man nie genau, wem man gerade auf die Füße tritt."

"Ich hatte nicht vor durch den Speisesaal zu rennen und zu schreien, dass ich eventuell mit den van Germingens verwandt wäre." murmelte Meo monoton und zog ihre feinen Augenbrauen zusammen. Sie wollte ihr Armband nicht abnehmen, aber ebenso wollte sie klarheit.
"Du gibst es doch nicht für die Ewigkeit ab, komm spring über deinen Schatten." keckerte Gwinn in Meos Ohr, die daraufhin ihr Armband aufmachte und es Anjun gab. "Pass bitte auf das Armband auf, es bedeutet mir sehr viel."

"Selbstverständlich werde ich gut auf das Andenken Deiner Mutter aufpassen.", versprach Anjun. "Wenn Du jedoch ein anderes Bild hast, dann kann natürlich gar nichts passieren. Und jede weitere Information hilft mir natürlich bei meinen Recherchen. Weiß Dein Vater mehr?"