Gespräche über Besen und andere Kleinigkeiten

Spieler: Anjun und Simon
Ort: Langhaus der Nachtkrabs/Aufenthaltsraum
Zeit: aktuelles Schuljahr/Tag der Anreise/nach 20 Uhr (11. August/Sonntag)

Draußen regnete es noch immer und Simon schüttelte sich im Vorraum leicht, bevor er den Aufenthaltsraum betrat. Wie bei den Elwetritschen, so saßen auch bei den Nachtkrabs an diesem Abend einige ältere Schüler hier noch beisammen, spielten, lasen oder unterhielten sich. Simon musste nicht lange suchen, um Anjun unter ihnen auszumachen. Sein Cousin stach durch sein äußeres Erscheinungsbild und seine Kleidung ein wenig unter (vor allem den muggelstämmigen) Schülern hervor. Entgegen Simons Befürchtung saß er allerdings nicht mit Lara zusammen, sondern war über ein Buch vertieft.

Simon blieb neben Anjuns Sessel stehen und blickte ihm halb über die Schulter. "Bereitest Du Dich schon auf morgen vor, oder hast Du noch Lust, mit mir rüber in den Besenschuppen zu kommen?" Leider war das Wetter zu regnerisch, um einen abendlichen Flug übers Watt vorzuschlagen, aber vielleicht... "Ich wollte meinen Besen noch fürs morgige Probetraining fein machen." Simon war sich zwar sicher, einen Platz im Team zu bekommen, aber er würde schon auch zeigen wollen, was für Qualitäten er so besaß.

Anjun stand auf. „Ich komme mit. Ein bisschen Politur hat noch nie geschadet. Außerdem raucht mir schon der Kopf von zu viel Arithmantik.“ Er schwang seinen Zauberstab und verkleinerte das Buch, so dass er es bequem in die Hosentasche stecken konnte und verließ mit Simon den Aufenthaltsraum.

Draußen regnete es noch immer, aber das störte Anjun nicht. Der Regen auf seiner Haut, gab ihm das Gefühl lebendig zu sein und mit den Elementen verbunden. Außerdem gab es ja Trockenzauber. Auch sein Cousin war nicht zimperlich. Dennoch waren beide nicht verrückt genug, um bei diesem Gewitter fliegen zu wollen.

Im Besenschuppen war es bei diesem Wetter sehr ruhig. Die jüngeren Schüler waren ohnehin schon im Bett und die meisten anderen in den Langhäusern. Schnell hatte Anjun sein Besenfach geöffnet und seinen Boliden samt Putzzeug hervor geholt.

„Wie war's beim Surfen?“, nahm er das Gespräch wieder auf. "Die Wellen kurz vor dem Sturm müßen gut gewesen sein. Bist Du noch ins Gewitter gekommen?

Simon fischte seinen Besen aus der Ablage und holte sein Besenputzset hervor. Viele Schüler besaßen nur das eine und nahmen es in den Ferien mit nach Hause und brachten es am Beginn des Schuljahrs wieder mit. Simon allerdings besaß für Rungholt ein eigenes Set mit verschiedenen Polituren, die er zu Hause nicht benutzte. Und seinen Quidditchbesen nahm er auch nicht immer mit nach Hamburg. Besen hatte er inzwischen sieben oder acht Stück.

"Die Wellen waren großartig", antwortete er auf Anjuns Frage, während er nach der richtigen Grundpolitur suchte. Der Besen war jetzt wochenlang nicht bearbeitet worden und das Holz benötigte erst einmal eine Grundierung. "Und das Meer war recht leer. Es waren nicht allzu viele von uns noch Baden. Die schwarzen Wolken waren bedrohlich genug." Aber gleichzeitig oder gerade deswegen faszinierten sie Simon. Gefahr war faszinierend.

"Trotzdem habe mich abgesetzt, bevor es richtig geschüttet hat. Den Regen habe ich im Gerätehaus ausgesessen - notgedrungen. Da war eine junge Dame in Not." Er grinste beim Gedanken an Tatjana. Ja, eine junge Dame in Not und er war Simon, der heldenhafte Ritter auf einem weißen Pferd...

„Eine junge Dame in Not?“, wiederholte Anjun fragend. Er war schon ein bisschen neugierig wer das wohl gewesen sein mochte. Simon schien auf die jüngeren Mädchen eine große Anziehungskraft zu haben. Auch wenn es seinen Cousin selber überhaupt nicht zu kümmern schien, war Anjun das leise Geflüster der Schülerinnen nicht entgangen, wenn Simon in der Nähe war.

"Ja, Tatjana, das Mädchen vom Schiff", sagte Simon und begann seinen Besen mit der Polierpaste zu bestreichen. "Sie hat sich im Geräteschuppen untergestellt und wir sind ins Gespräch gekommen." Simon angelte nach seinem Polierlappen fürs Grobe und begann die Paste sorgfältig zu verreiben. "Nachdem sie sich Dir gegenüber so hysterisch verhalten hat, war ich doch ein wenig neugierig, wie sie so tickt und was wohl ihr Problem sein könnte."

Simon arbeitete vom Besenstil zu den Borsten hinauf, ohne Anjun dabei anzusehen. Er kannte seinen Cousin gut genug, um zu wissen, dass er im Moment eher weniger von Tatjana hielt. Was natürlich vollkommen verständlich war, nach dem wie sie sich aufgeführt hatte. Es waren nun nicht gerade geringe Anschuldigungen gewesen, die sie gegen ihn vorgebracht hatte.

Dass das nicht klug gewesen war, war ihr inzwischen wohl selbst klar, aber Simon bezweifelte, dass sie von sich aus mit Anjun darüber sprechen würde. Dabei war Simon der Meinung, dass man gerade in solchen Fällen einfach einmal miteinander reden musste. Das löste die meisten Probleme auf einfache und direkte Art.

Anjun arbeitete schnell und systematisch. Erst wurde jede Borste einzeln untersucht und dann mit der Polierpaste bestrichen. Seine Mundwinkel zuckten, als Simon davon berichtete, dass es Tatjana gewesen war, die er „gerettet“ hatte.

„Und hast Du heraus gefunden, was ihr 'Problem' ist?“ Anjuns Augenbrauen wanderten ironisch in die Höhe. Er erinnerte sich daran, was Aurelius über sie gesagt hatte. Dass Tatjana ihm ängstlich erschienen war und... wie ein Steinkauz. Was hatte er noch gesagt? //Junge Steinkäuze sind von Natur aus eher introvertiert und brauchen viel Zuwendung und Training, um die gleiche Souveränität wie beispielsweise ein großer Uhu zu entwickeln.//

"Ganz bin ich nicht aus ihr klug geworden", erwiderte Simon. Er würde Anjun gegenüber nicht alles erzählen, was Tatjana ihm gesagt hatte. Das wäre dem Mädchen gegenüber weder fair noch anständig. Aber er hatte das Gefühl, dass sie mit sich selbst genug Probleme hatte, um nicht auch noch zusätzlich ein Problem mit Anjun haben zu müssen. "Aber ich glaube, es hat etwas mit ihrer Familie und ihrem magischen Talent zu tun."

"Ihre Tante ist die Leiterin des Mädcheninternats am Edersee." Simon wusste, was für eine Schule das war und Anjun wusste es ebenfalls. Hätte Simon eine Tochter, er würde sie nie und nimmer dorthin schicken. Er war gerne ein Reinblütler, aber das war doch verrückt, was da abging.

"Wäre sie reinblütig wäre das sicher kein Problem", fuhr Simon fort. "Aber ihr Vater ist ein Muggel und ich habe das Gefühl, das für sie eine Welt zusammengebrochen ist, als klar wurde, dass sie eine Hexe ist." Er polierte sorgfältig den Besen. Irgendwie halfen ihm solche stupiden Tätigkeiten immer, seine Gedanken besser zu ordnen. "Ich kann es nicht an irgendetwas festmachen, aber ich glaube, in ihrer Familie ist irgendetwas vorgefallen, das damit zusammenhängt und das hat sie... verunsichert." Er zuckte mit den Schultern. "Auf alle Fälle hat ihr Bruder irgendetwas damit zu tun."

Simon wischte die Reste der Grundpolitur mit einem weichen Tuch ab. "Ich weiß, sie ist Dir gewaltig auf die Zehen getreten, aber ich denke, sie ist in Wirklichkeit ziemlich arm dran." Und Simon wäre jederzeit gewillt, ihr zu helfen, das zu ändern. Ihm war selbst nicht ganz klar, dass er von sich nicht nur zum Spaß als Ritter hoch zu Ross gesprochen hatte. Es war eine innere Einstellung. Mädchen in Not half man einfach.

„Hmm....“, machte Anjun und bearbeitete eine Weile schweigend seinen Besen. So ganz schlau wurde er nicht aus der Geschichte. Dass eine halbblütige Hexe zwischen den Welten zerrissen war, konnte er sich vorstellen. Aber was hatte das mit ihrem Bruder zu tun? Er war doch auch ein Zauberer. Und weshalb mußte sie ihn des Drogenhandels beschuldigen?
 
„So etwas in der Art meine Aurelius auch.“, murmelte er und polierte das schön gemaserte Holz seines Rennbesens. „Er kennt sie, weil er in der Eulerei Dinkelsack mit ihr zu tun hatte.“, setzte er erklärend hinzu. „Er hat sie mit einem jungen Steinkauz verglichen und meinte ihr fehle das Selbstvertrauen.“
 
Er stoppte seine Arbeit und sah Simon an. „Du meinst also ich solle eher Mitleid haben, als ihr böses zu sein. Und einen Schritt auf sie zugehen?“

"Ich denke, Du solltest ihr ihr Verhalten nachsehen", sagte Simon nach kurzem Zögern. "Und es nicht persönlich nehmen. Ich glaube nicht, dass es viel bringt, mit ihr darüber zu reden. Ich denke, es ist ihr einfach viel zu peinlich, was sie getan hat." Es würde viel Taktgefühl benötigen, Tatjana zu entlocken, was genau sie so verunsicherte. Anjun war taktvoll, aber er war auch schnell in seiner Ehre gekränkt. "Es wäre schade, wenn Du ihr den Vorfall auf der Wassernixe bis zum Ende Deiner Schulzeit ankreidest, nur weil wir sie nicht verstehen."

Simon griff sich die Dose mit der Feinpolitur. "Ihr Bruder scheint ihr sehr wichtig zu sein. Wenn Aurelius Recht hat - und das Gefühl hatte ich auch - dann ist es eigentlich nicht ihre Art, andere anzuklagen. Sie selbst hat zu mir gesagt, sie sei nicht sehr mutig. Also muss sie um ihren Bruder so sehr besorgt gewesen sein, dass sie alles in ihrer Macht getan hätte, um ihm zu helfen - auch wenn es überhaupt nicht nötig war." Simon zuckte mit den Schultern. "Ich würde nur zu gerne wissen, warum sie sich so sehr um ihren Bruder sorgt. Auf mich machte er einen ganz normalen Eindruck. Vielleicht etwas zurückhaltend, aber er ist auch erst zehn oder elf."

„Du hast wahrscheinlich recht.“, sagte Anjun nachdenklich. Er nahm einen Lappen und polierte den Besenstiel. „Als ich sie vorhin am Strand traf, konnte sie mir nicht in die Augen sehen. Und wenn die anderen nicht gewesen, dann wäre sie vielleicht sogar davon gerannt.“ Er hielt kurz innen. „Sie hat wohl andere Gründe, als ich angenommen habe. Auch wenn ich sie nicht verstehe. Vielleicht verstehen es Tethys oder Sevda.“

Simon dachte kurz nach und grinste. "Ich könnte Amabella darauf ansetzen", sagte er dann leichthin. "Ich glaube, Mädchen vertrauen sich untereinander schneller Dinge an als uns Jungen gegenüber." Er wischte die überschüssige Feinpolitur ab und rieb dann mit einem flauschigen gelben Tuch den Besenstiel ab. Jetzt fehlten nur noch die Borsten und der Besen war für morgen im besten Zustand.