Hauptgebäude: Bibliothek (1. OG)

Die Bibliothek ist ein magisch vergrößerter Raum, der nach einer Mischung aus altem Papier und Pergament riecht. Es ist hier so still, dass man das Rascheln der Seiten hört und die Bewegung der magischen Bücher in den Regalen. Betritt man den Raum, findet sich rechts der Arbeitsplatz von Herrn Kesselflicker, dem Bibliothekar.

Hier steht auch der große Zettelkasten in dem alle Bücher alphabetisch verzeichnet sind. Leider hilft das nur bedingt, weil ständig Bücher ausgeliehen sind oder sich selbst umstellen. Herr Kesselflicker kennt seine Bücher allerdings und weiß eigentlich trotzdem immer, wo sie sich aufhalten. Im Zweifelsfall sollte man also ihn fragen. Mit dem passenden Buch kann man sich dann an einen der Tische setze, die zu kleinen Gruppen zusammen gestellt wurden und jeder eine Tischleuchte besitzt. Wer es gerne ruhig mag, kann hier ausgezeichnet Hausaufgaben machen. Reden und Essen ist aber natürlich verboten.

pp: 18:30-20:00 Uhr: Abendessen - Hauptgebäude: Speisesaal (EG) (+Yves)


Gemeinsam gingen sie noch ganz normal aus dem Speisesaal heraus, doch anstatt sich zum Ausgang zu wenden, blickten sie sich gekonnt um und stiegen in aller Eile unbeobachtet die Treppe hinauf. Oben angekommen drückte sich Amy ganz kleinmachend gegen das Geländer und bedeutet Yves, es ihr gleich zutun.

Abwarten.
Gegend sichern.
Nichts geschah.

Amy machte das Zeichen, weitergehen zu können und beide schlichen auf Zehenspitzen und jeden Schatten als Deckung nutzend, in Richtung Bibliothek.

Herr Kesselflicker musste noch da sein, die Tür war noch offen. Amy blickte Yves scharf an. Es war Zeit für eine List! Sie atmete tief ein und öffnete die Tür. Mit beschwingten Schritten ging sie hinein und erblickte den Bibliothekar an seinem Tresen. Ein Lächeln machte sich auf ihrem Gesicht breit.

„Hallo, Herr Kesselflicker. Schön, sie nach den langen Sommerferien wieder zu sehen.“ Sie grinste über beide Wangen und lehnte sich mit beiden Ellenbogen an den Tresen. „Ich konnte es kaum mehr erwarten, denn diese Bibliothek ist mir so ans Herz gewachsen. Und ich kann es kaum erwarten, meine Recherchen wieder aufzunehmen!“

Sie wusste, Herr Kesselflicker kannte sie; manchmal sogar besser, als ihr lieb war. In den vergangenen Jahren hatte er sie mehr als einmal aus der Bibliothek hinauswerfen müssen (die Lautstärke war dabei weniger das Problem, als die späte Stunde) und hatte ihr mehr als allen anderen Schülern bei seltsamen und manchmal haarsträubenden Themen aushelfen müssen.

„Frau Holtus, guten Abend!“, sagte Herr Kesselflicker gut gelaunt. „Sie hier, gleich am ersten Schultag? Ich bin nicht überrascht. Ich hoffe, Sie konnten die Ferien genießen?“ Er blickte auf die junge Schülerin hinunter und bemerkte gar nicht, wie ein zweiter Schüler seine Abgelenktheit ausnutzte, um sich in einen hinteren Teil der Bibliothek zu schleichen.

„Aber sie wissen doch,“ süffisant lehnte sich Amy vor und blickte Herrn Kesselflicker lieblich an. „Ohne meine geliebte Bibliothek konnte ich die Sommerferien gar nicht genießen! Niemand kann mir so gute Literatur empfehlen, wie Sie!“

Nicht zu dick auftragen, dachte sie noch und lächelte beschämt.

„Ich brauche nämlich ganz dringend jetzt schon Ihre Hilfe, Herr Kesselflicker.“ Sie blickte etwas beschämt zur Seite und scharrte mit einem Fuß. Und fand ihre schauspielerische Leistung hervorragend!

„Ich brauche dringen alle, alle Literatur, die Sie über die Quiddtichturniere der Letzen drei Jahrzehnte auf Rungholt haben. Alle Spielstände, alle Mitspieler inklusive Ersatzspieler.“

Yves hörte, wie Amy sich mit Kesselflicker unterhielt und spürte, wie sein Herz heftig pochte. Rasch schlich er sich in die Bibliothek und hinter das nächste Regal. Nochmal gut gegangen! Auf Zehenspitzen schlich er sich weiter in den hintersten Teil der Bibliothek. Wenn er es schaffte, unbemerkt hier zu bleiben, würde er Amy nach der Schließung der Bibliothek wieder hineinlassen können! Dass sie auch mit einem einfachen Alohomora wieder hätten hineinkommen können kam ihm gerade nicht in den Sinn.

Er wählte den Platz so, dass er das Bild von dem dunklen, unheimlichen Zauberer durch eine Ritze im Bücherregal beobachten konnte, ohne selber Gefahr zu laufen, dass ihn Rahel beim Eintreten sehen würde. Er hörte, wie sich Amy und Kesselflicker wohl über alte Quidditchspiele unterhielten und wie Kesselflicker Amy zu einem Regal mit Büchern führte.

Dann erst wurde ihm die Lücke in seinem Plan bewusst: Was sollte er denn nun machen, bis Amy bei ihm war? Weil Amy konnte doch eigentlich nicht zu ihm kommen jetzt, sonst würde Keselflicker ihn bemerken. Verdammt! Was sollte er in der Zeit denn bloß machen? Gelangweilt suchte er sich ein Buch aus dem Regal und begann es durchzublättern.

Die Zeit verging quälend langsam und Yves war richtig froh, als die Lichter ausgemacht wurden und Kesselflicker Amy aus der Bibliothek bat. Doch nun, so alleine in der Dunkelheit, begann Yves’ Herz heftig zu klopfen. Er hasste die Dunkelheit! Rasch zückte er seinen Zauberstab und musste sich zwingen, nicht sofort einen Lichtzauber zu sprechen.

Mit weichen Knie und kalten Schweiß auf der Stirn wartete er einige Minuten, nachdem die Türe abgeschlossen worden war, dann flüsterte er „Lumos!“. Nachdem ein feiner Lichtkegel um ihn herum erschienen war, fühlte er sich gleich viel sicherer. Erleichtert atmete er auf und schlich hinüber zum Tresen, schnappte sich den Ersatzschlüssel und öffnete die Türe. Bevor er sie auf machte schluckte er und murmelte: „Nox.“ Das Licht erlosch und Yves spürte wie die Angst zurückkehrte. Langsam und lautlos öffnete er die Türe. „Amy...?“ Seine Stimme war kaum ein Flüstern.

Die Finte hatte geklappt! Yves war unbemerkt in die Bibliothek gelangt und hatte Stellung bezogen! Guter Mann!

Doch nun kam Amy an die Schwachstelle ihres Planes! Sie würde nun Herrn Kesselflicker vormachen müssen, allein da zu sein und zwar, bis dieser die Bibliothek schloss! Missmutig blätterte sie in den Büchern. Quidditch auf Rungholt! Diese Lektüre kannte sie bereits auswendig von ihrem ersten Schuljahr!

Sie wusste nicht genau, wo Yves sich aufhielt, aber das war gut; solange er sich ruhig verhielt. Die Stunden plätscherten dahin und Amy fragte sich, ob Herr Kesselflicker nicht mal ausnahmsweise früher Schluss machen wollte, als ihr einfiel, dass er ja jeden Abend einen Schutzzauber auf die Bibliothek setze. Fieberhaft überlegte sie, wie sei diese umgehen konnte. Würden diese Zauber Yves etwas antun, wenn er sich darin befand? Amy wusste, die Schutzzauber waren nötig für die schwer erziehbaren Bücher, die sich unbeaufsichtigt gern mal in andere Bücher verbissen, ausbüchsten oder sonst einen Schaden anrichten konnten.

Ohne erwischt zu werden, klaubte sie sich einen Zauberspruchband, in dem sie das Gewünschte vermutete. Schnell zauberte sie sich die Sprüche auf den Unterarm und murmelte die Worte probeweise, um die Aussprache hinzubekommen. Dann schlich sie zurück zu den Quidditchbüchern.

Gerade als sie dachte, es könnte nicht mehr langweiliger werden, lugte Herr Kesselflicker um die Ecke und überraschte sie. Er wolle schließen und Amy reagierte einen Ticken zu erfreut. Gemeinsam gingen sie zur Tür und da tat Amy so, als wolle sie sich die Schnürsenkel neu zusammenbinden.

Unbemerkt sprach sie die Zauber, die auf ihrem Unterarm standen und hoffte das Beste. Sie verließen die Bibliothek und Yves war allein.

Auf dem Gang hatte sie noch alle Hände voll zu tun, weil Herr Kesselflicker sie galant zu ihrem Langhaus belgeiten wollte, doch sie schälte sich aus seiner besorgten Gegenwart. Sie wartete noch ein paar Minuten, nachdem er gegangen war und schlich sich dann zurück zur Eingangstür der Bibliothek.

Sie presste ein Ohr an die Tür. „Yves?“

Yves atmete erleichtert auf, als er Amys Stimme vernahm. Er öffnete die Türe langsam weiter, um keine Geräusche zu machen.

„Komm rein!“, flüsterte er und schloss hinter ihr genau so leise die Türe. Dann steckte er den Schlüssel ins Schloss und verschloss die Türe. „Lumos“, murmelte er erneut den Lichtzauber und seufzte erleichtert auf. Noch immer zitterte er am ganzen Leib und sein Herz klopfte so laut, dass es bestimmt bis zu den Langhäusern zu hören war.

Yves öffnete die Tür und ließ sie eintreten. Er schien besorgt.

„Alles in Ordnung, moh ami?“ Amy tätschelte etwas unbeholfen seinen Unterarm. „Lass uns schnell Position beziehen! Bevor Rahel kommt.“ Sie blickte sich um. „oder bevor uns eins der Bücher auffrisst.“

Leise huschten sie an den Regalen entlang, in denen das Wispern allmählich lauter wurde. Die Bücher erwachten und ohne den Schutzzauber von Herrn Kesselflicker… Amy schluckte. Hoffentlich würde heute Nacht nichts passieren.

Strategisch günstig postierten sie sich an einem Nachbarregal. Von hier aus konnten sie das Gemälde sehen aber selbst würden sie wohl nicht gesehen werden. Perfekt! Amy wusste es nicht, aber es war genau die Ecke, die sich auch Yves schon zuvor ausgesucht hatte.

„Und jetzt. Warten wir.“ Sie blickte zu Yves und lächelte.

Yves nickte und ließ sich neben Amy auf die Bank nieder. Noch immer leuchtete die Spitze seines Zauberstabs und hüllte die Umgebung in ein milchiges Licht. Er wusste, dass das wohl nicht so intelligent war, weil dann Rahel die beiden bemerken würde. Doch andererseits, solange Amy nichts dagegen sagte, war es bestimmt in Ordnung – zumal Amy seiner Meinung nach um eines intelligenter war.

„Hör mal Amy, ich hab nachgedacht“, meinte er mit gedämpfter Stimme. „Wir sind doch jetzt schon ziemlich lange befreundet, wir vier. Und haben schon so manches aventure erlebt. Wieso bilden wir eigentlich nicht eine Art Geheimclub? Ou quelque chose comme ça?“

Amy starrte wie gebannt in Yves Licht des Zauberstabes. Als er sie ansprach, blinzelte sie.

„Was?“ Sie blickte sich um. Alles war ruhig. Nunja, zwar lauter als sonst, aber leiser als sie erwartete.

„Ein Geheimclub?“ Die Idee gefiel ihr. „Meinst du, wir sollen unser Wissen mit anderen teilen?“ Es war ja nicht so, dass die Vier auf der ganzen Insel berühmt und berüchtigt waren…

„Wöchentliche Treffen, um Agentendinge zu leeren? Abwehrzauber zu üben und vielleicht sogar einen Patronus?“ Amy durchströmte Aufregung. „Oh, das wär fein! Und wir üben Anschleichen, Verstecken und spielen ganz viel Cluedo!“

(OCC: mal ganz im ernst: warum glaubst du, Yves sei nicht so schlau, wie Amy?! )

„Oui“, stimmte Yves zu und blickte zu Amy hinüber. Im Schein des Zauberstabs wirkte ihr Gesicht bleich und das Licht zauberte groteske Schatten in ihr Gesicht. Irgendwie unheimlich. „Und unsere Aufgabe ist es, uns selber und anderen zu helfen und unser Wissen zu teilen, um eine bessere Welt zu erschaffen!“ Yves strahlte. Vielleicht mochte es in den Ohren von anderen naiv klingen, ein kindliches Wunschdenken, doch Yves meinte es völlig ernst. „Und dann brauchen wir naturellment einen geheimen Treffpunkt. Und einen passenden Namen.“

Ooc: ICH glaube das nicht, Yves glaubt das. Und Yves ist auch nicht der Schlauste, das ist schon okay so. Er hat andere Stärken.

Amy kicherte. „Du meinst einen anderen Ort, als dein Zimmer?“ Sie hatte sich so daran gewöhnt, dass die Vier sich in Yves Zimmer trafen, da gefiel ihr der Gedanke, den Ort zu wechseln, nicht besonders gut. Andererseits war es ein neues Abenteuer.

„Und wir Vier sind dann die Lehrmeister! Und alle anderen müssen auf uns hören.“ Natürlich, Amy fand es nur logisch, dass die besten Auroren alle anderen unterrichteten. Und dass die Vier die besten Auroren Rungholts waren, stand außer Frage. „Nicht nur, dass wir schon fast alle Rätsel um Rungholt gelöst haben, wenn wir unser Wissen weitergeben, könnten wir noch mehr Tipps bekommen, um Rätsel noch viel schneller zu lösen. Stell dir vor, jemand wüsste etwas über das Gemälde dort vorn.“

Sie senkte die Stimme, wie ihr einfiel, dass der Junge im Gemälde sie ja vielleicht hören konnte. „Das hätte uns viel Zeit gespart. Noh?“

Einen kurzen Moment dachte sie daran, dass sie Yves jetzt schon mit den anderen Mädchen teilen musste. Und eigentlich hatte sie auf  noch mehr Leute keine Lust. Nicht wenn das bedeutete, sie müsste Yves noch mehr teilen…

(OOC: nein, natürlich haben die Vier nicht alle Rätsel Rungholts gelöst. Aber lass die Kleine mal in ihrem Glauben )

Yves nickte eifrig. Die Idee gefiel ihm immer besser!
„Ah, c'est genial! Oh, und ich habe une idée! Wir verlangen Eintritt!“ Yves schlug sich mit der Hand auf den Mund, weil er vor Begeisterung plötzlich lauter gesprochen hatte. Er wartete mit großen Augen und klopfendem Herzen, doch nichts geschah und nach einigen Minuten fuhr er leiser fort: „Wir verlangen Eintritt! Aber nicht Galeonen oder so. Der Eintritt ist eine Geschichte. Eine geheime, persönliche Geschichte aus dem eigenen Leben, die man noch keinem erzählt hat. Und das Geheimnis wird dann in dem Club aufgenommen und darf niemals weiter erzählt werden. Dann sind wir alle durch ein persönliches Geheimnis mit einander verbunden.“

Amy machte große Augen. „Das ist genial, Yves.“ Sie beugte sich weiter vor, um sich zu zwingen, leiser zu sprechen.

„Gilt das dann auch für uns? Müssen wir uns dann auch peinliche Geschichten erzählen?“ Verwundert blickte sie Yves an. Eigentlich kannte er doch alle ihre Geschichten. Und wenn sie es ihm erzählte, fand sie es auch gar nicht mehr so peinlich.

„Und wir dürfen auch nie wieder davon reden. Das stärkt den Zusammenhalt. Denn stell dir vor, es würde jemand ausplaudern! Nicht auszudenken, wenn Malin von diesen Geschichten Wind bekäme!“

„Die Geschichten müssen ja nicht peinlich sein“, meinte Yves schulterzuckend. „Nur halt was ... Geheimes. Etwas Persönliches.“ Yves überlegte einen flüchtigen Moment lang, ob er sein größtes Geheimnis vielleicht Preis geben sollte? Wer weiß, vielleicht würde das irgendwie befreiend wirken? Doch er verdrängte den Gedanken. Er würde nie den Mut dazu finden und er würde seinen Freunden nicht mehr in die Augen sehen können. Aber vielleicht konnte er von seiner Familie in Frankreich erzählen. Oder etwas in der Art?

„Aber du hast recht, Malin nehmen wir nicht auf“, pflichtete er ihr bei. „Wir sollten sowieso nicht zu viele Leute aufnehmen. Nur ganz besondere Leute. Leute, die unser Vertrauen irgendwie gewinnen.“

Nachdenklich bohrte sich Amy ins Kinn. „Und wer entscheidet, wer aufgenommen wird? Machen wir ein Tribunal? Äh, ich meine das mit Vieren? Also ein .. äh.. Quadronal?“ Sie kicherte. Gab es das Wort überhaupt?

Wieder machte sie ein nachdenkliches Gesicht. „Also… ich wüsste gar nicht, was ich erzählen sollte. Das meiste kennst du sowieso.“ Sie überlegte. Und plötzlich lief sie rot an. Sie wusste etwas! Das würde sie Yves aber niemals, nicht in einer Millionen Jahre erzählen! Dass sie sich ein Leben in der Zukunft ohne ihn nicht vorstellen konnte…

„Und wie viele Leute sollten das sein? Nur Jüngere? Die hören dann wenigstens auch alle auf uns.“ Sie dachte an die Meute neuer Fünftklässler, die heute alle ihre Schärpen erhalten hatten.

Yves zuckte die Schultern.
„Entscheiden können wir ja alle gemeinsam“, meinte er. „Und es ist doch egal ob jünger oder älter ... wir müssen ja nicht Anführer spielen. Wir sind dann ein Club und jeder hat gleich viel zu sagen. Liberté, Égalité, Fraternité!“ Er lachte leise als er den Wahlspruch der heutigen Französischen Republik zitierte.

Dann ließ er seinen Blick zum Portrait schweifen. Sie warn nun bestimmt schon eine Stunde hier! Wie lange würde es denn noch dauern, bis Rahel endlich auftauchte?

„Das ist fantastisch, Yves.“ Amy hielt sich an seinem Arm fest und drückte ihn kurz, ehe sie wieder aufblickte.

„Du hast Recht. Rahel hätte schon lange da sein müssen….“ Sie  machte ein missmutiges Gesicht. Plötzlich hörte sie etwas.

„Yves, schnell, mach das Licht aus!“ Schnell und leise huschte Amy zum Ende des Bücherregals und horchte nach den Geräuschen. Die Bücher waren unruhig, aber das war nichts Außergewöhnliches, denn Herr Kesselflickers Beruhigungszauber lag nicht auf ihnen. Vorsichtig späte sie um die Ecke, Yves bedeutend, sich ruhig zu verhalten.

Sie konnte nichts erkennen; einige der Bücher bewegten sich in den Regalen, aber ein Mensch war nicht zu sehen. Vielleicht hätte sie sich ein paar der Zaubersprüche merken sollen, die Herr Kesselflicker benutzte…

Angestrengt lauschte sie. Aber da war doch was….

Plötzlich erhob sich ein riesiger Schatten direkt aus dem Boden und schwebte zielstrebig auf das Versteck von Amy und Yves zu! Weiße Zähne erschienen, gelbe Klauen streckten sich nach den Kindern aus und Amy schlug sich eine Hand vor den Mund, um nicht laut loszuschreien.

In heller Panik wirbelte sie herum, packte Yves am Oberarm und zerrte ihn mit sich zu Boden. Schützend drückte sie beide in die Bücherecke, presste die Augen zusammen und erhob zitternd den Zauberstab, um eilig einen vagen Schutzzauber zu sprechen. Und hoffte, betete, dass – was immer das auch sein mochte – entweder an ihnen vorbeihuschen; oder sie schnell töten würde.

Das Licht ausmachen? Yves zögerte und gegen seinen Willen murmelte er: „Nox.“

Dunkelheit hüllte sie ein und sein Herz fing wie auf Knopfdruck an schneller zu schlagen. Die Angst schlängelte sich wie eine Schlange durch sein Inneres und Amys Verhalten trug nicht dazu bei, ihn zu beruhigen. Was hatte sie nur gesehen? War es Rahel? Er lauschte. Und dann sah er es auch. Das Monster, das auf sie zugeschossen kam.

Yves warf dem Etwas einen panischen Blick zu wie ein weitwundes Tier, das seinem Verfolger nicht entkommen konnte. Er stolperte mit aschfahlem Gesicht rückwärts. Er wollte schreien, doch seine Kehle war wie ausgetrocknet und kein Laut verließ seinen Mund. Er merkte, wie Amy ihn packte, spürte, wie er zu Boden gerissen wurde und hart aufschlug. Panik ertränkte sein Denken, kalter Schweiß und salzige Tränen bedeckte sein Gesicht. Vor seinen ungläubigen Augen kam das gespenstische Monster näher und näher.

Starr vor Angst und unfähig zu handeln starrte Yves seinem Untergang entgegen.

Der schwarze Schatten stürmte bedrohlich näher, ein Heulen kam auf, drang durch Mark und Bein und die gelblichen Klauen näherten sich den Kindern, kratzte an dem kleinen Schutzzauber, den Amy eilig über sie beide gelegt hatte und hauchte ihnen seinen widerlichen Atem entgegen.

Und plötzlich, mit einem hohen Quietschen Geräusch, verpuffte das Wesen, löste sich in Dunkelheit auf und sein Schrei verhallte….

Über die Bibliothek legte sich wieder die typische Stille.

Bis auf ein Lachen!

Leander Kesselflicker schälte sich mit einem Schwung seines Zauberstabes aus seiner Deckung, stellte sich breitbeinig vor das Versteck, in dem sich Amy und Yves vor Angst zusammen kauerten und lachte.

„Hey, ihr Helden!“ Ein vergnügter Ausdruck stahl sich auf sein junges Gesicht. „Habt ihr wirklich geglaubt, ich würde auf den alten Trick hereinfallen?“

Yves hatte den Mund zu einem stummen Schrei geöffnet und starrte dem Monster panisch entgegen, bevor es sich auflöste. Sein Herz schlug so heftig, dass es schmerzte. Der Schrecken saß tief und erst allmählich schien er zu begreifen, dass die Stimme, die er gerade gehört hatte, eine menschliche war. Kesselflickers Stimme. Er würde nicht sterben. Das Monster war gar nicht echt gewesen.

Diese Erkenntnis löste etwas in ihm. Die Starre wich einem heftigen Zittern. Er drehte sich vom Rücken zur Seite, weg von Amy, zog die Beine an den Oberkörper und schlang die Arme um den Kopf. Heftig zitterte, weinte und schluchzte der Junge. Er war noch zu verängstigt, um sich der Tränen zu schämen.

Es war gar kein Monster! Es war eine Illusion von Kesselflicker!

Amy hob den Kopf und mit einem leisen Plopp löste sich ihr viel zu kleiner Schutzzauber auf. Sie starrte den lachenden Bibliothekar an und konnte es kaum fassen! Er war nicht auf die Finte hereingefallen? Aber Yves hatte sich doch meisterhaft angeschlichen! Sie hatte völlig unbemerkt die Gegensprüche zu Kesselflickers Versiegelungszaubern gesprochen! Wie war das möglich?

Etwas benommen blickte sie zu Yves, der völlig in sich zusammengekauert verkrampft dasaß und sich vor Angst wiegte. Schnell legte sie die Arme um ihn, hielt ihn fest und tröstete ihn, so gut es ging. Oje, was war das für ein Reinfall, schollt sie sich in Gedanken und versuchte Yves so gut e ging zu trösten.

Alles ihre Schuld! Wie konnte sie ihren Partner nur nicht besser beschützen? Sie wusste doch, dass er Angst im Dunkeln hatte!

Sanft wiegte sie Yves und funkelte Kesselflicker erbost an. „Musste das jetzt sein?“ Doch sofort bereute sie ihre Worte.

Leander Kesselflicker verging das Lachen, als er sah, wie Yves vor Schreck fast verging. Mit einem Schlenker seines Zauberstabes machte er Licht und trat näher.

„Das tut mir leid, Yves. Es ist alles wieder in Ordnung.“ Er ging in die Hocke und blickte die Kinder entschuldigend an. Dann wandte er sich an Amy; die konnte wenigstens sprechen.

„Also echt, Amy, als ob du jemals allein unterwegs wärst, wenn du dich über ein Thema informieren willst, dass du bereits vor zwei Jahren auswendig gelernt hast.“ Leander schüttelte sanft den Kopf. „Du bist nie allein unterwegs, wenn du wieder etwas ausheckst. Und du hast Glück, dass ich die Sicherheitszaubersprüche nicht wirklich auf die Bibliothek gelegt habe. Deine Gegensprüche waren lieb gemeint, aber sinnlos.“

Er beobachtete die beiden Kinder, die noch immer am Boden kauerten und seufzte leise. „Komm schon, Yves.“ Er holte eine Tafel Schokolade aus einer seiner Taschen hervor. „Ich hab’s nicht so gemeint.“

Yves brauchte noch einige Minuten, bis er sich beruhigt hatte. Das Licht half. Doch noch immer sah er das Monster vor sich, das aus der Dunkelheit auf ihn zugeschossen kam, konnte seinen fauligen Atem noch riechen und hörte noch die unheimlichen Laute, die es von sich gegeben hatte. Er würde nächtelang nicht mehr schlafen können. Also, noch schlechter, als es ohnehin schon der Fall war.

Doch schließlich kehrte zumindest ein Teil der Rationalität zurück und er wurde sich bewusst, dass er hier wie ein kleines Kind weinte. Vor dem Herrn Kesselflicker und vor Amy. Schamesröte stieg ihm ins Gesicht. Er rappelte sich halb auf, jedoch mit dem Rücken zu den beiden und wischte sich rasch mit dem Ärmel die Tränen aus dem Gesicht – als hoffe er, dadurch wenigstens einen kleinen Teil seiner Würde noch bewahren zu können.

Als er sich endlich zu den beiden umdrehte hielt er die geröteten Augen auf den Boden gerichtet. Er traute sich nicht, einem von beiden in die Augen zu sehen. Er wusste nicht recht, was er sagen sollte, also schwieg er. Er wollte nur noch in sein Bett und alleine sein.