Rungholt: Wald

Luca legte erneut den Kopf leicht schief und  lächelte, scheinbar amüsiert. Noch immer hielten sie die Hand des jeweils anderen und wie sie ihren Druck leicht verstärkte, tat er das gleiche. Er musterte Amy eine Weile und fragte dann fast keck: „Du schwärmst ja richtig für ihn! Bist du vielleicht ein kleines bisschen in ihn verschossen?“ Er zwinkerte ihr zu und lachte leise, wie über einen guten Witz, doch die Augen musterten sie nach wie vor genau.

Amy lief feuerrot an und musste kichern, als Luca auch noch ihre Hand ein klein wenig fester drückte, schien ihr Herz zu zerspringen! Oh, wie schwindelig sie sich fühlte! „Nein!“ Sie winkte ab und wusste doch, dass sie es nicht verleugnen konnte. „Sowas würde mir doch nicht im Traum einfallen! Er ist ein Lehrer! Oder wird es mal sein…“ Sie biss sich auf die Unterlippe und konnte das alberne Kichern nicht einstellen.

Dann fiel ihr ein, dass Luca die gleiche Augenfarbe hatte, blickte ihn an und fühlte sich plötzlich genauso unsicher, wie vor Herrn Lonsky. Wieder kicherte sie und drehte sich zum Gehen. „Komm schon, gehen wir an den Strand.“ Sie senkte den Kopf und hatte Filou vollkommen vergessen.

Luca stieg lachend in Amys Gekichere ein und lächelte sie dann an. Doch sein Lächeln schwand augenblicklich, als sie sich abwandte. Er hielt ihre Hand noch immer fest und ging einige Schritte mit, dann aber meinte er verwundert: „Und was ist mit Filou?“ Er sah sich um, als könnte die Katze jeden Augenblick aus dem Unterholz hervor springen.

Er lächelte sie an! Und Amys Herz machte einen Hüpfer! Wenn sie die Augen zumachte und es sich ganz feste vorstellte, sah Luca Herrn Lonsky sogar ähnlich! Ihre Wangen glühten förmlich und sie wandte sich ab, als Luca nach Filou fragte.

„Oh, ach der.“ Schüchtern nahm sie ihre Hand zurück, weil es ihr plötzlich schrecklich peinlich war, mit einem Jungen allein im Wald zu sein, der diese wunderschönen Augen hatte…. „Der findet den Weg zum Langhaus schon. Und so wichtig ist es nicht.“ Sie blickte betreten zu Boden. Naja, eigentlich schon, die Anderen warteten sicher. Aber sie konnte Luca wohl kaum zu dem geheimen Treffen mitnehmen. Da war der Strand die bessere Wahl.

Schüchtern sah sie ihn an und wusste nicht, was sie mit ihren leeren Händen machen sollte. „Oder willst du nicht zum Strand?“

Luca schien einen Moment nachzudenken. Dann aber lächelte er. „Doch, natürlich. Wenn du meinst, es ist schön da begleite ich dich gerne. Magst du mir auf dem Weg ein bisschen etwas über dich oder Rungholt erzählen? Ich finde, du bist eine gute Erzählerin; ich höre dir gerne zu.“

Amy grinste über beide Wangen. Luca sagte, sie sei eine gute Erzählerin! Sie unterdrückte ein Kichern und ging los. „Also Rungholt ist total toll. Man kann hier fast alles machen, auch wenn die Magister meist ziemlich streng sind. Sie lassen nichts einfach so durchgehen. Einmal – gleich an meinem allerersten Tag hier – bin ich mit Dora zum Tritscharium gegangen und da hatte ein anders Mädchen –Rahel Dämmerglanz – die Tritschen in ihren Parzellen freigelassen. Und Dora und ich wollten nachsehen, ob es ihnen gutging und es war ein heilloses Durcheinander! Es sind sogar ein paar Tritschen entkommen! Aber Herr Heckelmann hat uns nicht geglaubt und so mussten wir eine ziemlich üble Strafarbeit machen. Das fand ich ziemlich ungerecht.“

Sie seufzte. „Aber ich versuche, keinen Ärger zu bekommen. Das ist aber gar nicht so einfach.“ Sie pustete sich enttäuscht eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Langsam lichtete sich der Wald und Amy konnte in der Ferne den Strand sehen.

Luca gab ein genervtes Schnaufen von sich und als er Amys Blick auffing meinte er mit einem leichten Lächeln: „Entschuldige, das hatte nichts mit dir zu tun. Es ist nur so ... ich kenne Rahel Dämmerglanz. Dieses arrogante Gör geht mir ziemlich auf die Nerven.“ Er verdrehte theatralisch die Augen und zwinkerte Amy dann zu.

Dann richtete er seinen Blick an Amy vorbei zum Strand, der nun sichtbar wurde. Sein Blick glitt nach oben zum wolkenfreien Himmel. Seine Mundwinkel zuckten leicht besorgt.

Luca konnte Rahel auch nicht leiden? Amy grinste und ein warmes Gefühl machte sich in ihr breit. Er war so … toll!

Sie kicherte albern und erzählte weiter. „Wir haben hier ganz viele Möglichkeiten für Sport und Spiel! Siehst du das da?“ sie deutete auf eine kleine Hütte in den Dünen, die von ihrem Standpunkt aus kaum zu sehen war. „Da sind total viele Sportgeräte drin, wie Boote, Surfbretter und sowas. Wir können also jederzeit ins Wasser gehen, wenn wir Zeit haben.“ Sie blickte Luca auffordernd an, wurde dann jedoch rot im Gesicht und wanderte weiter den Pfad entlang.

Der Weg wurde sandiger und Amy hielt es kaum mehr aus. Schnell streifte sie sich Sportschuhe und Socken von den Füßen und kicherte, während sie ihre Zehen in den weichen Sand grub. Ja, es waren auch ein paar Körner, Steine und Baumnadeln dabei, aber das störte sie nicht.

„Und es ist mit nichts vergleichbar, barfuß durch das Wasser zu laufen.“ Wieder lächelte sie Luca an und spürte, wie ihre Wangen wieder rot anliefen.

Luca folgte Amy und ließ den Blick über die Umgebung schweifen. Als Amy ihm von dem Schuppen mit den Sportsachen erzählte und ihn dann auffordernd ansah runzelte er leicht die Stirn. Als sie ihn anlächelte lächelte er leicht zurück und schaute aufs Meer hinaus.

„Warum macht ihr sowas?“, fragte er schließlich. „Ins Wasser gehen oder im Wasser laufen?“

Amy blickte Luca fragend an. Genauso gut hätte er sie fragen können, warum sie atmete!

„Naja, das ist Hobby. Freizeit. Es entspannt und es fühlt sich toll an, einfach zu schwimmen.“ Sie zuckte mit den Schultern und sah Luca von der Seite an. „Was machst du denn in deiner Freizeit?“

Sie lief barfuß neben dem Pfad her, damit der Sand sich zwischen ihre Zehen stehlen konnte.

Luca musterte Amy und zuckte dann die Schultern.
„Ach, dies und das“, antwortete er ausweichend und schaute wieder zum Meer. Er machte eine Pause, als müsse er nachdenken. „Ich lese oft.“ Er machte eine weitere Pause, dann drehte er sich während dem Gehen zu Amy und lächelte sie an. „Mein Leben ist wohl nicht so interessant wie das einer angehenden Aurorin.“ Er faltete die Hände hinter dem Rücken und wiegte leicht den Kopf hin und her. „Was muss man denn alles können als Auror? Ich habe gehört das muss sehr anspruchsvoll sein.“

Amy kicherte wieder, als Luca sie „angehende Aurorin“ nannte. Das war toll! Sogar so toll, dass sie alles Andere vergaß.

„Also man muss gut in Arithmantik sein, weil Logik ganz vorn steht! Und natürlich Angriffs- und Abwehrzauber! Und man muss sich anschleichen können, das übe ich, so oft es geht! Und Kombinationsfähigkeiten und man muss stets aufmerksam sein!“ Amy hüpfte fast neben Luca her und strich sich beiläufig eine Spinnwebe aus dem Haar, das sich seit dem Wald darin verbarg.

„Ach ja, und natürlich braucht mein eine sehr gute Menschenkenntnis! Man muss sofort wissen, ob man demjenigen, dem man gegenüber steht, trauen kann oder nicht!“ sie kicherte wieder. Bisher hatte sie eine fantastische Menschenkenntnis.

„Mein Freund Yves und ich werden bestimmt die Ausbildung zum Auroren gemeinsam machen! Ich bin so gespannt! Wir üben fast jeden Tag dafür!“ Sie grinste wieder, doch das schlechte Gewissen holte sie ein. Wo war Yves gerade? Wartete er etwa auf sie? Mh….

Luca nickte bei ihren Aufzählungen, scheinbar sehr interessiert. Kurz schlich sich ein Schmunzeln auf seine Lippen, doch schon im nächsten Moment schaute er wieder ernst.

„Das klingt wirklich nach sehr viel, was man können muss!“, meinte er und schaute Amy mit einem bewundernden Ausdruck an. „Du scheinst eine sehr begabte Hexe zu sein, Amy. „Bestimmt muss man auch Beschatten könne, oder? Dafür muss man bestimmt Geduld haben.“

Amy grinste und errötete. Luca war toll!

„Ja, natürlich. Beschatten üben wir, wann immer es geht! Gerade gestern…“ sie verstummte. Sollte sie ihm tatsächlich von Rahel und dem Portrait erzählen? Aber er konnte Rahel auch nicht leiden…. Es war aber eine Top-Secret-Sache…

Unschlüssig bis sie sich auf die Unterlippe und entschied sich dann. „Also gerade gestern haben wir versucht, den Bibliothekaren Herrn Kesselflicker zu beschatten. Und das war total toll. Nur leider hat er uns erwischt.“ Sie blickte griesgrämig. Nein, im Nachhinein betrachtet, war das auch keine gute Geschichte, die sie hätte erzählen sollen…

Sie kamen am Strand an und Amy lief direkt in die Wellen, sodass das Salzwasser ihre Knöchel umspielte.

„Oha“, kommentierte er Amys Geschichte und sah sie mitleidig an. Seine Augen musterten sie einen Moment aufmerksam, dann schaute er zu seinen Füßen, die noch immer in den Schuhen steckten. Er machte keine Anstalt, sie wie Amy auszuziehen. Er lief noch eine Weile neben ihr her (jedoch in genügend Abstand zu den Wellen), dann meinte er: „Und Abwehrzauber beherrscht du auch schon? Auch gegen ... geistige Angriffe?“ Er schaute sie aufmerksam an, nachdem er die Frage gestellt hatte.

Amys Herz rutschte ihr in die Kniekehlen und sie starrte Luca an. Dann lachte sie leise und gekünstelt. „Abwehrzauber kann ich schon ein paar. Aber… geistige… nein.“ Sie zuckte mit den Schultern und fühlte sich plötzlich wie eine Versagerin. Eine tolle Aurorin war sie; sie konnte nicht einmal geistigen Abwehrzauber…

Sie lächelte tapfer. „Das werde ich wohl später lernen. Es ist ja schließlich nichts, was man sich selbst beibringen könnte, oder so.“ Sie zuckte mit den Schultern und fühlte sich elend.

Lucas Mundwinkel zuckten kurz, wie zu einem Lächeln, doch rasch schaute er wieder ernst drein und nickte langsam.

„Hm ... ja, da hast du wohl recht“, meinte er zögernd. Er schaute sie einen Moment an und begann dann: „Weißt du, vielleicht könnte ich...“ Doch dann schien er zu zögern und schüttelte den Kopf. „Ach, vergiss es, es ist eine blöde Idee ...“

Amy machte große Augen. Was war mit Luca?

„Was kannst du?“ Unwillkürlich kam sie etwas näher, ganz so, als sei sie davon überzeugt, dass er weitersprechen würde, wenn sie niemand belauschte – obwohl sie völlig allein waren. „Was ist eine blöde Idee?“

Luca blieb stehen und sah Amy an. Er schien einen Moment zu zögern, doch dann gab er sich scheinbar einen Ruck: „Naja, ich kenne eine ... Technik, wie man den Geist stärken kann. Wie man sich gegen geistige Angriffe wehren kann.“ Er zuckte mit den Schultern, als sei das keine große Sache war. „Naja ... wenn du willst, könnte ich dir helfen ...“

Amy blieb stehen und starrte Luca entgeistert an. „Du… du kannst sowas?“ Sie konnte es kaum glauben! Aber immerhin war er in der 9. Klasse, also warum nicht? Ob er sowas auf seiner alten Schule gelernt hatte? Ob er auf einer speziellen Schule war, wenn er sowas konnte?

Mit großen Augen blickte sie ihn an und biss sich auf die Unterlippe. Durfte sie darauf eingehen? Es war sicher gefährlich! Aber sowas wie Gefahr hatte sie ja noch nie von etwas zurück gehalten. Andererseits brauchte sie sowas ganz sicher als Auror! Dann wäre sie wirklich die beste Aurorin des Jahrhunderts! Und dann konnte sie es auch Yves beibringen!

Sie lächelte zaghaft. „Ist das denn in Ordnung?“ Sie räusperte sich, doch Aufregung setzte sich in ihre Brust. „Ich meine, es ist doch sicher viel Arbeit. Und du bist… naja..“ sie schluckte. Wie solle sie es sagen, ohne dass er es falsch verstand und sauer auf sie werden würde. „Du kennst mich doch gar nicht. Wie kannst du wissen, dass ich es wert bin?“ Ihre Stimme war nur fast ein Flüstern.

Luca schaute Amy nachdenklich an, dann lächelte er sie an und zuckte leicht mit den Schultern.

„Naja, ich kenne dich erst seit kurzem aber“, er legte – noch immer lächelnd – den Kopf leicht schief, „ich glaube, ich kann dir vertrauen, Amy. Und ich sehe viel Potential in dir. Ich glaube, du bist es auf jeden Fall wert.“

Beinahe wäre Amy umgefallen! Er lächelte sie an und sagte, sie sei die Arbeit wert… noch nie hatte jemand soviel Vertrauen in ihre Fähigkeiten… na, gut, bis auf Yves.

Amys Wangen liefen rot an und sie kicherte, während sie sich eine Hand vor den Mund hielt. Aufregung machte sich in ihr breit und sie musste an sich halten, Luca nicht sofort um den Hals zu fallen. Er würde sie unterrichten! Ein 9. Klässler würde sie unterrichten! Und sie würde die beste Aurorin der Welt werden!

„Danke.“ Ihre Wangen glühten und ihre Stimme klang irgendwie piepsig. Aber ihr breites Lächeln war echt. „Wollen wir gleich morgen anfangen?“ Unruhe und Vorfreude… sie merkte gar nicht, dass die Wellen ihre hochgekrempelte Hose berührten.

Luca lächelte sein unentwegtes Lächeln.

„Wenn du magst“, antwortete er und nickte noch zusätzlich als Bestätigung. Dann trat er noch einen Schritt näher zu ihr, seine Schuhe wurden nun von den Spitzen der Wellen erfasst, aber es schien ihn nicht zu kümmern. Fast verschwörerisch schaute er sie an und hob dann den Zeigefinger an die Lippen. „Aber das muss unser Geheimnis bleiben, okay?“ Er zwinkerte ihr zu.

Amys Wangen glühten noch immer, als Luca näher zu ihr trat und den Finger an die Lippen hielt. Er schwor sie ein! Wie spannend! Sie würde echte, richtige mentale Abwehrzauber lernen! Sie würde die beste Aurorin werden, die die Welt je gesehen hätte!

Sie lächelte. „Ja.“

Tbc: Ende Freistunde; also Essen oder so)